FINSTERE SCHATTEN
              Iriel rannte...
              Sie rannte so schnell wie sie konnte...
              Es war stockfinster und sie sah nicht wohin sie rannte. Es war auch 
              unwichtig, denn sie wurde gnadenlos verfolgt.
              Dornenranken peitschten über ihren nackten Körper und 
              rissen peinigende Wunden hinein, die ihr beinahe die Sinne raubten, 
              während sich ihr langes blondes Haar ständig in tiefhängenden 
              Ästen verfing und von ihrem Kopf gerissen wurde.
              Ihr Atem ging schwer und sie war am Ende ihrer Kräfte, doch 
              die Angst trieb sie weiter. Gehetzt blickte sie zurück, denn 
              Iriel wusste, dass die Verfolger ihr dicht auf den Fersen waren.
              Sie stellte aber erleichtert fest, dass niemand zu sehen war und 
              setzte ihre Flucht mit neuer Hoffnung fort. Diese wurde ihr jedoch 
              jäh geraubt, als sie vor sich das Ende des düsteren Waldes 
              und dahinter den gewaltigen Schatten eines Abgrunds erblickte.
              Entsetzt blieb Iriel am Klippenrand stehen und schaute hinunter. 
              So weit sie in der Dunkelheit sehen konnte, tat sich vor ihr ein 
              einziges Trümmer- und Ruinenfeld auf. Es waren die Überreste 
              der Ersten Schlacht, des Ausbruchs des grausamen Krieges, der bisher 
              so viel Leid über ihr Volk gebracht hatte.
              Ihre vollen Brüste erbebten unter den rasenden Herzschlägen, 
              als sie verzweifelt und erschöpft auf die wenigen blassen Sterne 
              über ihr blickte, die schwach durch das zerstörte Kuppeldach 
              leuchteten. Das Blut hämmerte in ihren Schläfen und kalter 
              Schweiß bedeckte ihre rosige Haut.
              Doch da glaubte Iriel etwas am Himmel erkennen zu können, das 
              so unbeschreiblich finster war, dass es sogar den tiefschwarzen 
              Weltraum verdunkelte. Es war riesig und schob sich langsam über 
              den gesamten Himmel. Ein einsamer Stern nach dem anderen wurde von 
              der unnatürlichen Finsternis verschlungen, bis kein einziger 
              Lichtstrahl mehr in die verwüstete Kuppel gelangen konnte.
              Iriel spürte wie sich ihr Körper verkrampfte, als sie 
              mit Unglauben die völlige Umschattung des Weltenschiffs beobachtete. 
              'Dies ist das Ende,' hörte sie sich stammeln. Eine einzelne 
              Träne rann über ihre zarten Wangen...
              Ein plötzliches Knacken ließ Iriel erschrocken herumwirbeln. 
              Sie sah wie eine schattenhafte Gestalt durch das Dickkicht auf sie 
              zu kroch und bevor sie auch nur reagieren konnte, schoss plötzlich 
              eine kreisende, messerscharfe Metallscheibe durch die Luft und zertrümmerte 
              ihr linkes Fußgelenk.
              Als die Sehnen und Nervenbahnen durchtrennt wurden, verlor Iriel 
              den Halt und stürzte mit einem Schmerzenslaut rückwärts 
              in die Dunkelheit des drohenden Abgrunds...
              
              
              DÜSTERES ZWIELICHT
              Als Iriel erwachte, war sie von völliger Dunkelheit umgeben. 
              Verstört und verängstigt richtete sie sich auf und blickte 
              um sich. Ihr Körper war übersät von Schürf- 
              und Schnittwunden, die sie sich vom Absturz geholt hatte und nun 
              höllisch zu brennen begannen. Langsam erinnerte sich Iriel 
              wieder an die Hetzjagd.
              Es war eine alte und äußerst beliebte Tradition unter 
              den Verdorbenen. Iriel hatte von diesen blutigen Jagdspielen gehört, 
              Anthara, die zweite Liebessklavin ihres Herren ist vor vielen Jahren 
              so in seinen Besitz gekommen. Denn es ist der Brauch, dass alle 
              Sklaven eines verstorbenen Kriegsherrn freigelassen werden, um dann 
              von dessen nächsten Verwandten und Freunden gejagt und wieder 
              eingefangen zu werden. Auf diese Weise gibt es keinen Streit um 
              die herrenlosen Sklaven und sie können ihre dunklen Gelüste 
              befriedigen.
              Iriels Herr, Kodhos Thyakran, einer der mächtigsten Lords des 
              dunklen Herrschers, war in einem Gefecht gegen die Reingebliebenen 
              gefallen, nachdem er und seine Krieger sich bei einem Raubzug zu 
              tief in ihre Territorien gewagt hatten.
              Voller Trauer musste Iriel nun an Anthara denken. Sie konnte anfangs 
              gut mit ihr Schritt halten, doch im düsteren Wald begann sie 
              immer weiter zurückzufallen und ihre Verfolger kamen immer 
              näher. Einmal hatte Iriel sich zu ihr umgewandt. Obwohl graue 
              Nebelschwaden ihr die Sicht erschwerten, konnte sie im Zwielicht 
              ganz klar ihr Gesicht erkennen. Nie wird sie Antharas flehenden 
              Blick vergessen können. Angst, Furcht, Pein und Schmerz spiegelten 
              sich darin wieder, es war ein stummer Schrei nach Hilfe, doch sie 
              ist weitergerannt, ohne sich noch einmal umzuwenden. Selbst als 
              sie Antharas markerschütternden Todesschreie gehört hatte, 
              die die idyllische Stille des Waldes durchschnitten hatten. So verlangten 
              es die grauenvollen Bräuche der Verdorbenen - Sollte die Beute 
              keine spannende und belustigende Jagd geliefert haben, so steht 
              es dem Jäger zu, sie auf der Stelle töten zu dürfen.
              Iriel konnte ein Schluchzen nicht mehr unterdrücken. Anthara 
              ist ihre beste Freundin gewesen und die Zeit nach ihrer Ankunft 
              war der angenehmste Teil ihrer langen Dienstzeit. Mit Trauer erinnerte 
              sie sich daran, wie sie sich nach den blutigen Lustspielen ihres 
              Herrn liebevoll gegenseitig die Wunden versorgten. Dabei erzählte 
              sie ihr immer von der Zeit vor dem Krieg und der Schönheit 
              einer Welt des Friedens und der Freiheit. Denn Anthara war jung, 
              sie war in dieser Welt aufgewachsen und kannte nichts außer 
              Tod und Gefangenschaft. Wie ihre kristallblauen Augen geleuchtet 
              haben, wenn Iriel ihr von den blühenden Gärten und dem 
              unbeschwerten Leben von damals berichtet hatte. Oft musste sie Antharas 
              endlosen Wissensdurst mit Erfundenem stillen, denn Iriel konnte 
              sich kaum noch an das Leben vor dem Krieg erinnern.
              Sie war sehr jung als die Verdorbenen ihre Kuppel im Laufe der Ersten 
              Schlacht stürmten, ihre Eltern ermordeten und sie von ihren 
              Geschwistern trennten. Sie hatte die schrecklichen Massaker miterlebt, 
              die ihr neuer Herr, Kodhos Thyakran, angeordnet hatte und denen 
              unzählige Eldar zum Opfer gefallen sind. Vor einiger Zeit, 
              als Kodhos guter Dinge war, wagte Iriel es endlich, ihm die Frage 
              zu stellen, ob ihre Geschwister damals ebenfalls den Tod gefunden 
              hatten. Der grausame Lord antwortete ihr nur mit einem allessagenden 
              Grinsen... Der Tod ihres Herrn verängstigte sie später 
              wegen der bevorstehenden Hetzjagd, doch gleichzeitig empfand sie 
              dabei auch eine tiefe Genugtuung...
              Erschrocken fuhr Iriel plötzlich aus ihren schweifenden Gedanken 
              und horchte. Sie vernahm das Klirren von herabstürzenden Steinen 
              - jemand war dabei, die Klippe herunterzusteigen!
              Iriels Herz begann zu rasen und das Blut schoss ihr in den Kopf. 
              Blind umhertastend versuchte sie aufzustehen, doch ihr linkes Bein 
              war taub vor Schmerz. So zog sie sich langsam an einer verwitterten 
              Säule hoch, die sie neben sich vorfand.
              Humpelnd und vor Anstrengung schnaufend schleppte sie sich mühevoll 
              durch die verfallenen Ruinen. Ihre Augen hatten sich inzwischen 
              an die Dunkelheit gewöhnt und sie konnte erkennen, dass sie 
              auf einer Erhebung stand, die einmal vor langer Zeit ein großes 
              Gebäude gewesen sein musste. Das Gelände war abschüssig 
              und Iriel versuchte vorsichtig weiterzugehen, als auf einmal der 
              Boden unter ihren Füßen nachgab und sie einbrach...
              
              
              EIN SCHEIN IN DER DUNKELHEIT
              Sie fiel tief und schlug hart auf. Ihr Absturz hatte viel Staub 
              aufgewirbelt, der ihr die Orientierung erschwerte, und Unmengen 
              an Geröll und Gestein mitgerissen, das nun verstreut auf dem 
              kargen Felsboden herumlag. Schwindelig und matt richtete sich Iriel 
              wieder auf und blickte nach oben. Doch aufgrund der Finsternis, 
              die sie umgab, konnte sie nicht erkennen, wo das Loch war, durch 
              das sie gestürzt ist. Da sie auch keine Decke sehen konnte, 
              folgerte sie, dass sie sich in einem großen unterirdischen 
              Gewölbe befinden musste. Rings um sie herum erkannte sie einige 
              umgefallene Säulen und Statuen, die mit uralten Symbolen und 
              Runen übersät waren - es musste sich hier um einen alten 
              Tempel handeln. Irgendwie ist damals dann beim Zusammensturz des 
              Gebäudes diese künstliche Höhle entstanden.
              Iriel hoffte nur, dass sie einen Ausgang aus der Ruine findet und 
              schaute noch einmal dort hinauf, wo sich das Einsturzloch in etwa 
              befinden müsste. Jedenfalls, so dachte sie, war sie nun wenigstens 
              vor den Jägern sicher. Doch gerade als Iriel sich abwenden 
              wollte, sah sie zwei dunkelrot leuchtende Augen, die von oben durch 
              das Loch herabschauten. Sie fuhr erschrocken zusammen und warf sich 
              blitzschnell hinter einer der großen gebrochenen Säulen, 
              in der Hoffnung, dass ihr Verfolger sie in der Dunkelheit nicht 
              erkennen konnte und die Suche nach ihr aufgeben wird. Angespannt 
              kauerte sie hinter dem kalten Stein und erwartete jederzeit einen 
              Schatten, der aus der Finsternis auftaucht und sie niederstreckt. 
              Doch aus den ersten quälenden Minuten wurden bald lange Stunden, 
              und noch immer tat sich nichts. Bald atmete Iriel erleichtert auf 
              und begab sich vorsichtig aus ihrem Versteck. Sie schlich gebückt 
              ins Freie und schaute nochmal zur eigenen Versicherung nach oben.
              Als sie dann unerwartet in die lauernden Augen des wartenden Jägers 
              blickte, blieb sie zuerst vor Schreck wie angewurzelt stehen. Ihr 
              Herz machte einen gewaltigen Sprung, als sie erkannte, in welcher 
              Gefahr sie sich nun befand. Fast schon gemächlich richtete 
              sich ihr unerbittlicher Verfolger auf und sprang behände durch 
              den Schacht. Dies löste Iriel aus ihrer Erstarrung, sie wirbelte 
              herum und rannte so schnell es ihr verletzter Fuß erlaubte 
              los. Hinter sich hörte sie wenige Augenblicke später ein 
              dumpfes Aufschlagen, das durch das ganze Gewölbe widerhallte 
              und von einem tiefen Knurren gefolgt wurde.
              Panisch versuchte Iriel zu entkommen und rannte weiter blindlings 
              in die Finsternis hinein. Doch sie wusste, dass der Jäger mit 
              jedem Schritt aufholte...
              Plötzlich wuchs vor ihr eine Felswand aus dem Schatten heraus. 
              Iriel bemerkte es zu spät und konnte ihren Lauf nicht mehr 
              rechtzeitig bremsen. So prallte sie gegen den harten Fels und blieb 
              benommen und taumelnd stehen. Als hinter ihr ein höhnisches 
              Gelächter erschallte, zuckte sie unwillkürlich zusammen 
              und drehte sich zu ihrem Verfolger um.
              "Endlich ist die Jagd zu Ende, meine kleine Iriel," frohlockte er 
              und nahm seinen Helm ab, der mit scharfen Spitzen und Zacken bestückt 
              war. Iriel erkannte die Stimme und konnte im Zwielicht die Umrisse 
              eines wohlbekannten Gesichtes ausmachen. Es war Uried, einer der 
              engsten Freunde ihres früheren Herren. Uried galt als einer 
              der ruchlosesten und grausamsten Kriegsherren, schreckliche Geschichten 
              werden über seinen 'Verbrauch' von Sklaven erzählt. Kodhos 
              hatte Anthara vor einiger Zeit für eine Nacht an ihn ausgeliehen 
              - sie kam mit solch schlimmen Verletzungen zurück, dass sie 
              nahe dem Tode gewesen ist. Er also sollte ihr neuer Herr sein, was 
              sie nicht verwunderte, denn Uried galt aufgrund seiner Unnachgiebigkeit 
              und seines guten Instinktes auch als einer der besten Jäger.
              Uried kam langsam näher und sie konnte ein schiefes Grinsen 
              in seinem Antlitz erkennen.
              "Du warst eine gute Beute, meine Schöne. Kaum jemand hat es 
              bisher bis zu den Ruinen geschafft... Apropos: Es tut mir Leid wegen 
              Anthara, doch sie hat es nicht anders verdient. Sie war einfach 
              zu schwach..."
              Iriel wich seinem bohrenden Blick aus und klammerte sich an die 
              brüchige Felswand. Als Uried ihre Brust mit seiner Hand berührte, 
              drückte sie sich noch fester an sie ran.
              "Was ist? Du wirst dich schon sehr bald an deinen neuen Herren gewöhnen... 
              Hmmm, du fühlst dich sehr gut an... Jetzt weiß ich warum 
              mir der alte Kodhos dich immer vorenthalten hat. Ich glaube wir 
              sollten noch eine Weile hier bleiben, findest du nicht? Hier sind 
              wir sicherlich ungestörter als in meinem Palast."
              Mit diesen Worten glitt seine kalte Hand zwischen Iriels Beine und 
              sein Gesicht näherte sich ihr langsam. Voller Hass blickte 
              sie in sein hässliches Antlitz und verkrampfte sich. Auf einmal 
              sah sie wieder Anthara vor sich, wie sie auf der Flucht war und 
              verloren um Hilfe flehte. Iriel konnte die angestaute Wut nicht 
              mehr zurückhalten und riss mit aller Kraft einen Felsbrocken 
              aus der Wand, mit dem sie dann Uried einen wuchtigen Hieb ins Gesicht 
              versetzte. Der dunkle Lord ging getroffen in die Knie und bedeckte 
              aufheulend sein Gesicht mit seinen Händen. Iriel packte den 
              Stein nochmal fest mit beiden Händen und schmetterte ihn mit 
              voller Wucht auf ihren verhassten Gegner, der dann stöhnend 
              zu Boden ging. Sie wusste, dass dies ihre letzte Chance war und 
              begann an ihm vorbei in die entgegengesetzte Richtung zu laufen.
              Bald hörte sie Uried ihr hinterherschreien: "Das wirst du mir 
              büßen! Versuch nur zu entkommen, ich werde dich jagen 
              und wieder fangen! Und dann steht dir ein Ende voller Qualen und 
              Schmerzen bevor! Der dunkle Herrscher soll deine Seele verschlingen!"
              Ihr Fuß brannte vor Schmerz, aber sie rannte unbeirrt weiter. 
              Doch auf einmal konnte sie in der Ferne einen schwachen Lichtschein 
              ausmachen.
              
              
              GLEISSENDES LICHT
              Der bläuliche Schein wurde vor ihr immer größer 
              und stärker. Bald war das Licht so hell, das ihre die Dunkelheit 
              gewöhnten Augen anfingen zu tränen. Hinter sich hörte 
              sie die verhallenden Schritte ihres unbarmherzigen Verfolgers, der 
              gnadenlos aufholte, und Verzweiflung befiel sie.
              Doch als sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte, konnte sie 
              in der Ferne eine weitere Felswand erkennen. Doch diese Wand bestand 
              nicht aus Schutt und Geröll sondern stellte einen intakt gebliebenen 
              Teil des ursprünglichen Tempels dar. Die Mauer war übersät 
              von bläulich fluoriszierenden Runenschriften, die den hinteren 
              Teil des Gewölbes in ein sanftes Zweilicht hüllten.
              Schnaufend kam Iriel vor der Wand zum Stehen und suchte angestrengt 
              nach einem Fluchtweg. Doch hier endete das Gewölbe und damit 
              auch ihre lange Flucht. Sie versuchte die Schriftzeichen zu entziffern, 
              doch viele Runen waren beschädigt und die Sprache war alt. 
              Ihre Gedanken rasten, Iriel wusste, dass ihr Vorsprung gegenüber 
              Uried nicht allzu groß war. Doch bald hatte sie die Runen 
              entschlüsselt:
              'Selbst in hellstem Licht findet sich ein schwacher Schatten.
              Denn das Böse schlummert nur, es kann nie völlig vergehen.
              Selbst in tiefster Finsternis findet sich ein matter Lichtschein.
              Denn die Hoffnung schwindet nur, sie kann nie völlig vergehen.'
              Die alten Verse brachten Iriel kein Deut weiter, sie drehte sich 
              um und erwartete todesmutig ihr Ende. Schon trat eine dunkle Gestalt 
              in den blassen Lichtkegel hinein und plötzlich blitzte ein 
              langes Messer auf. Iriel ging unwillkürlich einige Schritte 
              nach hinten, während Uried mordlüstern immer näher 
              kam. Bald spürte sie die kalte Mauer in ihrem Rücken.
              'Dieses Mal werde ich nicht so gnädig sein, Sklavin!' Mit diesen 
              Worten sprang Uried auf sie zu und wollte zustechen...
              Doch auf einmal gab die Wand hinter Iriel nach und mit einem überraschten 
              Schrei stürzte sie rückwärts hindurch. Dann vernahm 
              sie nur noch, wie sich die geheime Türe wieder schloss und 
              wie Uried hasserfüllt gegen die Mauer schlug.
              Das nächste was Iriel verspürte, war eine tiefe Stille 
              und ein unbeschreibliches Gefühl, wie als würde sie einen 
              endlosen Abgrund hinunterfallen. Die Zeit schien stillzustehen...
              Dunkelheit umgab sie, doch ein kleiner weißer Lichtpunkt raste 
              auf sie zu und wuchs mit großer Geschwindigkeit an. Bald füllte 
              das gleißende Licht ihr gesamtes Blickfeld, und wenige Augenblicke 
              später hatte es ihren Geist erreicht und völlig überflutet. 
              In jenem Moment verschwand Iriels Geist für immer und verschmolz 
              mit etwas derart Großem, als würde ein winziger Wassertropfen 
              in das weite Meer fallen...
              
              Uried tastete zornig die Wand ab und versuchte die alten Schriften 
              zu verstehen. Aber die verborgene Türe blieb verschlossen. 
              Nach einer Weile gab er es entnervt auf und steckte sein Messer 
              weg. Die Niederlage war bitter, noch nie zuvor war ihm ein Sklave 
              entkommen...
              Doch da sah er aus dem Augenwinkel eine kleine Bewegung und wirbelte 
              kampfbereit herum. Die Geheimtüre hatte sich wieder geöffnet. 
              In ihr stand nun eine große Kriegerin, die eine weiß 
              glänzende Rüstung trug. Ihr kalter Blick ruhte auf Uried, 
              in ihrer Rechten hielt sie eine lange archaische Waffe, an deren 
              Spitze ein schimmernder Kristall thronte, und ihre Linke umklammerte 
              einen goldenen Stab, der in zwei geschwungenen Klingen endete.
              'Wer im Namen des Dunklen Herrschers...?' stieß Uried verblüfft 
              aus, als er die fremde Kriegerin betrachtete. Er beendete seine 
              Frage aber nicht, da die Kriegerin sich plötzlich duckte und 
              zum Sprung ansetzte. Mit unglaublicher Kraft stieß sie sich 
              vom Boden ab und sprang auf ihn zu. Uried ließ sich so schnell 
              er vermochte zur Seite fallen, doch die Kriegerin hatte nicht beabsichtigt 
              ihn anzugreifen und flog weit über ihm vorbei.
              Uried rollte sich ab und richtete sich behände wieder auf. 
              Er löste knurrend eine dornenbesetzte Peitsche von seinem Gürtel 
              und entrollte sie langsam. Die Kriegerin war verschwunden, er hatte 
              keinen Laut einer Landung vernommen. Verwirrt starrte er angespannt 
              in die Dunkelheit jenseits des blauen Zwielichts.
              'Wo versteckst du dich? Komm heraus, dein Kopf wird eine schöne 
              Trophäe abgeben!'
              Lauernd blickte er um sich und da sah er sie wieder. Die Kriegerin 
              stand regungslos im Halbschatten. Uried bleckte seine Zähne 
              und stürmte auf sie zu. Wenige Meter vor ihr holte er weit 
              aus und ließ die tödliche Peitsche mit einem lauten Knall 
              auf sie niederschnellen. Doch die energiegeladenen Lederriemen jagten 
              durch den Körper hindurch, als wäre er nur aus Luft. Verdutzt 
              verlangsamte Uried seinen Angriff und blieb vor der Gestalt stehen. 
              Ein leiser Fluch entwich ihm und er wandte sich von dem Trugbild 
              ab.
              Aber auf einmal stand vor ihm die fremde Kriegerin, ihre Waffe war 
              auf ihn gerichtet. Bevor er reagieren konnte, schoss ein greller 
              Lichtblitz auf ihn zu, und obwohl er seine Augen schloss, wurde 
              er von der blendenden Lichtflut überströmt.
              Uried heulte auf, bedeckte seine schmerzenden Augen mit der freien 
              Hand und taumelte geblendet zurück. Er schlug mit der Dornenpeitsche 
              wild um sich, denn er konnte seine Gegnerin nur noch verschwommen 
              erkennen. Diese sprang nun auf ihn zu und versetzte ihm mit ihrer 
              leuchtenden Klingenwaffe einen mächtigen Seithieb, der ihm 
              den Unterleib aufschlitzte. Mit dem Schwung des ersten Angriffs 
              wollte die Kriegerin eine volle Drehung vollziehen und den Gegner 
              mit einem weiten Rundumschlag köpfen. Trotz des schweren Treffers 
              konnte Uried aber nochmal mit seiner Peitsche ausholen und zuschlagen, 
              die den linken Fuß der weißen Kämpferin traf.
              Obwohl der Treffer gering war, verharrte sie plötzlich in ihrer 
              anmutigen Bewegung und blickte auf ihren getroffenen Fuß, 
              als ob er schmerzen würde. Mit schmerzverzerrtem Gesicht umklammerte 
              Uried seinerseits keuchend seinen Bauch, der eine klaffende Wunde 
              trug, und richtete sich stöhnend wieder auf. Die beiden Gegner 
              starrten sich für einen kurzen Augenblick verwirrt an.
              'Iriel?' entfuhr es Uried plötzlich.
              'Iriel existiert nur noch in der Erinnerung. Genauso wie ihre Verletzungen!' 
              sprach die leuchtende Kriegerin, der Schmerz in ihrem Fuß 
              schien verschwunden zu sein.
              Sie richtete ihre Waffe auf ihn und feuerte. Uried konnte dem gleißenden 
              Lichtstrahl im allerletzten Moment noch ausweichen, indem er sich 
              zur Seite abrollen ließ. Gleichzeitig schnellte wieder die 
              Dornenpeitsche hervor und wickelte sich um den Klingenstab der geheimnisvollen 
              Gegnerin. Uried zog mit aller Kraft daran, doch er musste feststellen, 
              dass sie um ein Vielfaches kräftiger war als er. Nur mit dem 
              linken Arm hielt sie ihm stand, die Peitsche war bis zum Reißen 
              gespannt.
              Wieder richtete sie ihre Waffe auf ihn und eine Lanze aus Licht 
              schoss aus dem funkelnden Prisma. Dieses Mal war Uried zu langsam 
              und wurde von der Wucht des schweren Treffers gegen die runenbedeckte 
              Wand geschleudert.
              Gebrochen stand er langsam wieder auf. Blut strömte aus unzähligen 
              Wunden und tropfte auf den heiligen Boden des Tempels. Mit einem 
              lodernden Blick zog er sein Langmesser und brüllte wie im Wahn:
              'Verdammt seiest du! Komm her und spüre meinen Biss!'
              Uried war überrascht, als die Kriegerin seinem Aufruf folgte 
              und sich zum Zweikampf stellte. Voller Hass stürzte er sich 
              auf sie, Funken stoben, als ihre Klingen kollidierten. Gespenstische 
              Schatten tanzten durch das Gewölbe, während ihre klirrenden 
              Hiebe von den Wänden widerhallten. Doch sie wehrte seine zornigen 
              Angriffe mühelos ab. Bald drehte der Sturmwind und Uried fand 
              sich in einem Hagel aus kreisenden Lichtblitzen wieder. Die Hiebe 
              und Schläge der Kämpferin prasselten auf ihn nieder, und 
              bald war sein blutüberströmter Körper mit unzähligen 
              Wunden übersät.
              Verzweifelt sammelte er seine letzten Kräfte und holte zu einem 
              mächtigen Hieb aus. Die Kriegerin sah die Lücke in seiner 
              Verteidigung und stach zu. Die Klinge strahlte gleißendes 
              Licht aus, als sie durch Urieds Körper jagte. Während 
              er zu Boden sank, entwich ihm nur noch ein ungläubiges Röcheln. 
              Langsam zog die Kriegerin die Klinge wieder heraus, ein Schwall 
              warmen Blutes ergoss sich auf den kalten Steinboden. Doch sie gab 
              ihm nicht mehr die Gelegenheit, jämmerlich zu verbluten und 
              bereitete ihm einen schnellen Tod, indem sie ihn mit einem plötzlichen 
              Rundumschlag köpfte.
              'Anthara ist nun gerächt...'
              
              Der Gleißende Stern war endlich erwacht.
              Die Armeen des Dunklen Herrschers marschierten bereits gegen die 
              letzten Bastionen der Reingebliebenen.
              Das Volk von Tiêl-Shyar war in großer Not.
              Doch selbst in tiefster Finsternis findet sich ein matter Lichtschein.
              Denn die Hoffnung schwindet nur, sie kann nie völlig vergehen.