Die Zwei Türme

Persönliche Meinung nach der ersten Sichtung des Filmes.

Die Gabe der Vorhersehung
Ein Jahr war verstrichen, und die Wartezeit hatte schließlich ihr Ende gefunden. Für meinen Co-Webmaster und mich ein wenig früher als zunächst erwartet, denn Warner Bros. erteilte uns die Genehmigung "Die Zwei Türme" in der Pressevorführung, eine Woche vor regulärem Filmstart, sehen zu dürfen. Die emsige Arbeit an unserer Website hat sich also doch bewährt gemacht.
Die Spannung und Aufgeregtheit war bei mir im Vergleich zur letztjährigen persönlichen Premiere eher zurückhaltend, schließlich wusste ich ja nun wie der Hase lief, kannte den Erzählstil und die Art und Weise von Peter Jacksons HdR-Filmtrilogie und hatte durch unsere Berichterstattung bereits einiges im Vorfeld gesehen und erfahren. Dennoch blieb ein gewisses Kribbeln im Bauch. Würde der Film dem bisherigen Eindruck und all den bisherigen Lobreden gerecht werden? Würde er Tolkiens Buchvorlage gerecht werden?

Ein besonderer Film...
Dies könnte die Antwort auf die Frage sein, wie ich "Die Zwei Türme" in so wenigen Worten wie möglich bewerten würde. Denn das trifft es für mich ziemlich genau, von "gut" oder "schlecht" braucht man hier schließlich gleich gar nicht erst reden (er ist natürlich mehr als nur "gut"). Nichts an ihm hat es bisher in der Filmgeschichte gegeben, es gibt nichts Vergleichbares. "Die Zwei Türme" stehen solide, und ragen in ihrer Einzigartigkeit weit über die meisten anderen Filme hinaus.
Man nehme nur die virtuose virtuelle Darstellung Gollums, den man zu Recht den heimlichen Star der zweiten Teils nennen könnte. Obwohl sein Äußeres bei genauem Hinsehen und auch vom Gefühl her immer noch als künstlich erkannt wird, so steckt doch so unglaublich viel Leben und Energie in ihm dank der Schauspielkunst eines Andy Serkis, der nun zu Recht von New Line auf den Nebendarsteller-Oscar angesetzt wird. Gollum kämpft, spricht, leidet, streitet mit sich, trollt herum, fängt Fische und singt in Mittelerde, jener Welt die hier zu Leben erweckt wird. Und auch er ist es geworden, was auf keinen der bisher digital erschaffenen Filmcharakte so recht zutrifft: lebendig, voll und ganz. Nichts anderes hätte die wohl stärkste und interessanteste Figur der gesamten Geschichte verdient gehabt.
Einen weiteren Augenöffner stellt natürlich die gewaltige Schlacht um Helms Klamm dar, auf die jeder so lang gewartet hat. Brilliante Trick- und Kameratechnik lassen einen über das Schlachtfeld fliegen und die Kämpfe hautnah miterleben. Als würde man selbst auf den Zinnen der Hornburg stehen. Doch es ist bereits die schiere Größe von Sarumans Armee, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Und dabei hat, wie Gandalf am Ende treffend formuliert, die Schlacht um Mittelerde damit erst so richtig begonnen!
Neben diesen beiden herausragenden Höhepunkten weist "Die Zwei Türme" noch viele weitere auf. Man nehme nur die geballte militärische Macht Saurons, die sich im Schwarzen Tor von Mordor manifestiert, das durch dagegen winzig wirkende Trolle für einen langen Heerwurm an Ostlingen geöffnet werden muss (welcher übrigens aus der falschen Richtung heranmarschiert). Oder wunderschöne Szenen wie zum Beispiel Arwens Zukunftsvision, in der sie in einem wehenden schwarzen Schleierkleid am Grabe Aragorns mit dessen versteinertem Ebenbilde trauert.
Die Liste ist endlos: Von Howard Shores neuen Kompositionen (vor allem die Rohan-Fiedel) über die grandiosen Darbietungen der hinzugekommenen Hauptdarsteller (bis auf den etwas blassen David Wenham als Faramir vielleicht) bis hin zu den bemerkenswerten Leistungen derjeniger, die für die Kostüme, Sets und Requisiten zuständig waren, trägt einfach alles zur Besonderheit dieses Films bei.
Einen Vergleich mit "Die Gefährten" anzustreben wäre unsinnig, denn es handelt sich hier um ein- und denselben Film. Der Nachfolger erzählt uns nur ein anderes Kapitel aus dieser epischen Geschichte, mit einer verblüffenden Eigenständigkeit und einer völlig unterschiedlichen Atmosphäre. Während uns der erste Teil noch quer durch die faszinierende Welt von Mittelerde führt und eher einen klassischen Abenteuerfilm darstellt, konzentriert sich der zweite vor allem auf Rohans Überlebenskampf und wirkt damit vielmehr wie ein düsteres Kriegsdrama. Das Leid der Bevölkerung, die blutjungen Soldaten und der regelrechte Straßenkampf im zerstörten Osgiliath erinnern nur zu gut an die modernen Konflikte der realen Welt.
Es fällt mir daher schwer "Die Zwei Türme" irgendwo einzuordnen und mit einer Art Note oder einer endgültigen Bewertung zu versehen. Es fehlt der Vergleich.
Aber vielleicht reicht es ja auch, ihn einfach nur als einen ganz besonderen Film stehen zu lassen...

...aber nicht das bessere Buch
Kommen wir daher von der film- zur erzähltechnischen Seite des ganzen. Hier lehnt sich Peter Jackson, wie ja im Vorfeld bereits angekündigt wurde, sehr weit aus dem Fenster. Welche Änderungen nun explizit vorgenommen wurden, aus welchem Grund und ob das sinnvoll war, möchte ich an dieser Stelle nicht so gründlich ausbreiten (siehe hierzu unsere Änderungsliste). Auch nicht von mehr oder weniger stark verfremdeten Charakteren wie Faramir oder Théoden. Ich möchte vielmehr über das Endresultat sprechen, das der Regisseur und seine beiden Co-Autorinnen da geschaffen haben.
Denn "Die Zwei Türme" weicht an vielen Stellen stark von der Buchvorlage ab, das sollte jedem klar sein. Die Filmemacher erzählen schließlich auch eine andere, nämlich ihre eigene Version der Geschichte, angepasst an die Anforderungen und Restriktionen des filmischen Mediums. Dennoch versuchen sie dem Grundwerk treu zu bleiben, so treu wie es ihnen nur möglich ist. Auch in diesem Film sieht man das anhand der überall eingestreuten Einzelheiten und Details, welche vom gewöhnlichen Zuschauer wohl kaum registriert, aber von hartgesottenen Fans nur um so mehr beachtet werden.
Dem Regisseur gelingt es zwar gut die immer komplexer werdende Geschichte nachvollziehbar zu illustrieren, wie man z.B. bei den unzähligen Schnitten zwischen den einzelnen Erzähllinien oder dem Wechselspiel zwischen Rückblenden und gegenwärtigen Ereignissen sehen kann, und was mit Sicherheit eine meisterlich Leistung darstellt. Doch durch all die Änderungen am Originalplot zu Gunsten einer flüssigeren und für Kinozuschauer ersichtlicheren Handlung läuft Peter Jackson Gefahr die Glaubwürdigkeit und Geschlossenheit der Geschichte zu verlieren.
Im Film habe ich mich zum Beispiel gefragt weshalb Aragorn plötzlich in der Schlacht das Elbenheer befehligt und nicht ihr eigentlicher Anführer Haldir. Nun ja, Aragorns Werdegang zum zukünftigen König Gondors muss ja gezeigt werden.
Aber warum lehnen die Ents im Film eine Beteiligung am Krieg ab? - Damit sich Merry und Pippin profilieren können. Doch wirkt es nicht ein wenig unglaubwürdig, dass Baumbart und die anderen Ents keine Ahnung von Sarumans Waldrodungen zu haben scheinen?
Oder wieso kommt es beinahe dazu, dass Frodo einem Nazgûl den Ring übergibt? - Die Macht und das Verhängnis des Herrscherringes werden Faramir offenbart. Aber ist es nicht seltsam, dass der Ringgeist nicht nachsetzt und stattdessen einfach von dannen fliegt?
Und was ist mit den eigentlich nachtaktiven Orks und Wargen los, die hier am hellichten Tage angreifen? - Bei Nacht hätte man den packenden Kampf mit den Reitern Rohans wohl einfach nicht so gut gesehen.
Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie sich Plotänderungen auswirken können. Es entstehen kleinere und größere Unstimmigkeiten, die für gewöhnliche Filme nun mal typisch sind. Bei "Die Gefährten" trat dies jedoch nicht vor, da man sich hier strenger an der Buchvorlage hielt. Etwaige logische Lücken konnten allesamt durch das Buch gefüllt werden. Doch hier bei "Die Zwei Türme" ist dies nicht mehr möglich, denn es existiert kein Buch zu der Variante, die PJ & Co. entwickelt haben.
Dies ist dann auch wohl das Los des Films, der zwar wie oben beschrieben mit Sicherheit als ein filmisches Meisterwerk in die Geschichte eingehen wird, doch damit leben muss, dass das Buch nicht nur besser - sondern viel besser ist!

Aber man darf gespannt auf die erweiterten und neuen Szenen der nächstjährigen Extended DVD sein. Viele Szenen, die man im Vorfeld gesehen hat, fehlen nämlich mal wieder in der Kinofassung und an einigen Stellen spürt man das auch. Wer weiß, vielleicht werden ja gerade diese zusätzlichen 30 Minuten die verborgenen Problemzonen von "Die Zwei Türme" beseitigen.


Huân Vu, 2002



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