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PURITAS

I


Beginn der Aufzeichnung 00001/0001 (persönlich) Inq. Puritas, Ordo Haereticus 65778143265 (m),
Datum:
9/***885M37. Ort: unbekannt. Planet: Unbekannt/System: unbekannt. Segm. Pacificus 5543-43003.7. Leblose Welt. Keine Bewohnten Welten im System registriert. Aufklärung läuft.


Es ist pathetisch, einen solchen Bericht zu verfassen. Es widert mich im Innersten an, es zu tun. Aber ich kann nicht einfach so verschwinden. Ich muss eine Rechtfertigung abgeben. Und wenn es nur für mich selbst ist. Denn ich kann nicht sagen, ob irgendjemand diesen Bericht jemals finden wird. Es zwingt mich dazu. Dieses "es", dass mich mein ganzes Leben lang auf den Pfad gezwungen hat, der mich letztlich hierher an diesen kalten, verlassenen Ort geführt hat, wo ich nun das erste mal in meinem Leben eine Beichte abgeben kann, die diesen Namen verdient. Ich beichte mir selbst und dieser Speicherkarte. Ich beschwöre und belege durch die geheiligten Verschlüsselungen des Zugangs zu diesen Aufzeichnungen, dass ich derjenige bin, als den ich mich nun zu erkennen gebe. Inquisitor Puritas, Ordo Haereticus, geboren als Heinz Ohlendorf in Hannover in Carthago auf dem vierten Planeten des Rorschach-Systems.

Dies ist meine Beichte. Die Geschichte meines Lebens und der Umstände, die mich hierher geführt haben. Ich lege diese Beichte nicht im Namen der Kirche ab, noch beichte ich zu diesem verkommenen Leichnam oder zu einer seiner widerlichen, verfetteten Institutionen, einschliesslich der Kirche, der ich den grössten Teil meines Lebens gedient habe. Ich beichte nicht in ihren Namen oder im Name eines lebenden Menschen oder einer anderen Rasse oder zu Ausgeburten der Verwerfung. Sie sind alle gleich für mich. Ich empfinde Abscheu und Ekel ihnen gegenüber. Ich verachte sie.
Ich lege diese Beichte ausschliesslich in meinem erwählten und verdienten Namen ab. Puritas.
Reinheit. Denn ich bin das einzige Wesen, dass ich kenne, welches diesen Namen verdient.


Inquisitor oder Grossmeister, der du diese Aufzeichnungen eines nahen oder fernen Tages liest, sei dir sicher, ich verabscheue auch dich. Vielleicht werden dir die folgenden Zeilen helfen, mich zu verstehen, vielleicht nicht. Mir ist gleichgültig, welche Schlüsse aus diesen Worten gezogen werden. Es ist ein Trost für mich, zu wissen, dass wir uns niemals begegnen werden


II



Ich wurde geboren am 22.5. 4563 der Zeitrechnung meiner Heimatwelt Rorschach IV. Das entspricht dem imperialen Jahr 611M39. Ich wurde geboren im Bruder Bernhard-Krankenhaus in der Makropolstadt Hannover auf dem Kontinentalstaat Carthago und getauft von meinen Eltern auf den Namen Heinz Richard Ohlendorf, Sohn der Marga Ohlendorf und des Richard Ohlendorf. Beide Fabrikarbeiter bei Naotech.

Bis zu meinem 17. Lebensjahr wuchs ich in Hannover auf. Im Distrikt Gudhavn, was einer der ärmsten Distrikte auf der ganzen Welt war. Er war gebaut nach dem üblichen Schema und bestand ausschliesslich aus Grosswohnblocks des Krakow-Typs. Der Distrikt allein umfasste hunderte von Quadratkilometern. Die exakte Grösse der Makropolen ist nirgends verzeichnet.

Die Welt, auf der ich geboren wurde, war vollkommen isoliert vom Imperium. Es gab offiziell weder Kontakt noch überhaupt ein Wissen um dessen Existenz. Der Planet wurde auch nicht Rorschach IV genannt. Er war nur als "Welt" bekannt. Wissen um andere bewohnte Welten gab es nicht.

Auf Rorschach gab es so genannte "demokratische Staaten". In Tat und Wahrheit bedeutete dies die Alleinherrschaft der Wirtschaft. Tatsächlich wurde die Welt von den drei mächtigsten Inhabern grosser Konzerne und Medienimperien beherrscht. Diese bildeten eine Geheimregierung und liessen Politiker wie Puppen an ihren Fäden tanzen. Es gab inszenierte Politik, inszenierte Kriege, inszenierten Terror. Alles so durchsichtig gemacht, dass mir meine Umgebung, die das offenbar nicht durchschaute, nur noch debiler und minderwertiger erschien.

Ich war von Beginn an isoliert. Ich hatte als Kind und als Jugendlicher keinen Kontakt zu anderen Menschen. Von klein auf zeigte sich bei mir eine Art von instinktiver Ablehnung gegenüber allem, was ich auf meiner Heimatwelt sah. Ich verabscheute die Fernsehprogramme, die Industrie, die Unterhaltung, die ganze Struktur unserer Gesellschaft.
Schon im Kindergartenalter durchschaute ich das Herrschaftssystem der geheimen Regierung perfekt und ich verabscheute die Massen, die zu den inszenierten Wahlen gingen so wie ich die Herrscher verabscheute. Mich widerte bald alles um mich herum an. Bis hin zur Nahrung.

Die Umgebung, in der ich aufwuchs, war eine von kriminellen Banden und Organisationen Kontrollierte. Auf Rorschach IV nannte man so etwas einen "sozialen Brennpunkt". Das bedeutete normalerweise, dass man ohne gute Kontakte die Jugend nicht überlebte. In meinem Fall war dies nicht so. Denn zu meiner mentalen Isolation kamen noch zwei andere Eigenschaften. Die erste war meine Intelligenz, mit der ich die Schulen, die ich besuchte, mit Leichtigkeit durchlief. Die zweite war meine absolute und unbedingte Aggression, mit der ich meiner feindseligen Umwelt begegnete. Ich ging nie einer Gewalttätigkeit aus dem weg, denn tatsächlich waren Schmerzen das einzige, das mir etwas Linderung in der Agonie meiner Isolation verschaffte. Ich war faktisch mit etwa zehn Altersjahren psychisch abhängig davon, Schmerzen zu haben. Ich fühlte in den Schmerzen etwas, dass ich bis auf den heutigen Tag nicht genau definieren kann. Am nächsten kommt der Begriff "Reinigung" dem, was ich im Schmerz empfinde.

Mit zwölf hatte ich bereits sieben Gleichaltrige und zwei Ältere in Auseinandersetzungen getötet, was meine Einweisung in ein Heim für sozial gestörte Jugendliche zur Folge hatte. Ich war froh, von meinen Eltern wegzukommen, die ich verabscheute. Ich war überall ein Aussenseiter, aber meine Gewalttätigkeit bewirkte, dass ich von den kriminellen Banden weitgehend in Ruhe gelassen wurde. Man bot mir sogar Mitgliedschaft in den beiden grossen Banden an, die den Stadtteil kontrollierten. Ich lehnte immer ab. Ich verabscheute sie so wie ich alle Menschen verabscheute. Zusehends wurden mir Menschen widerlicher. Nicht nur ihre Art, zu leben, auch ihre Formen, ihr Art und ihre Ausdünstungen. Mit sechzehn Jahren ernährte ich selber mich nur noch von Konzentraten. Normales Essen war mir zu widerlich. Ich hatte mir in einem Krankenhaus alle Körperhaare entfernen lassen. Ich hatte nicht mehr mit ihnen leben können. Mein Leben bestand zusehends nur noch aus einem zwanghaften Muskeltraining, welches ich um des Schmerzes Willen betrieb, physischen Torturen des Leibes mit Nadeln und Messern, einer in allen Massstäben glänzenden Schulkarriere und nach meiner Schulzeit aus Arbeitslosigkeit. Ein Schicksal, dass ich mit der überwiegenden Mehrheit der Bewohner meines Wohnortes teilte. Eine Karriere als Kampfsportler endete, als ich versehentlich einen Kontrahenten im Ring tötete. Nur die Tatsache, dass es ein Versehen war, bewahrte mich vor dem Gefängnis und möglicherweise der Todesstrafe. Ich war Volljährig.

Die Todesstrafe wäre mir recht gewesen, denn meine Existenz war zu diesem Zeitpunkt an einem toten Punkt angekommen. Ich lebte in einer Ein-Zimmer-Wohnung, hatte (sowohl der Umgebung als auch meinen Auffälligkeiten entsprechend) keine Aussichten auf eine Stelle, trotz hervorragender Schulzeugnisse. Ich begann, die Welt um mich herum immer mehr zu verabscheuen und hatte absolut keine Vorstellung, wie es weitergehen sollte. Ich hasste die Welt, auf der ich lebte, ich hasste die herrschende Demokratie, die ich bis zum heutigen Tag für das schmutzigste und verlogenste politische System überhaupt halte, ich musste mich immer rigiderem Training und Torturen unterziehen, um noch den Anschein eines psychischen Gleichgewichtes zu halten, ich wusste, dass es keine Möglichkeit gab, diese Welt zu verändern oder ihr zu entkommen.
Ich dachte oft an den Tod, während ich mit Ingrimm meine kleine Wohnung sauber hielt. Das einzige, wofür ich das wenige Geld ausgab, das ich vom Staat erhielt, waren wenig Lebensmittel, Staubsauger und Reinigungsmittel. Aber selbst dem Zustand absoluter Sterilität erschien mir meine Wohnung immer weniger als ein Zufluchtsort. Ich wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Und trotzdem harrte ich aus, reinigte mich durch Schmerz und wartete.


III



Doch dann kam der Tag, an dem alles völlig anders wurde. Eigentlich war es kein Tag. Es fing an einem Tag an und viele Tage später war alles anders. Luftangriffe waren im laufenden Krieg nicht üblich und Hannover wurde seit Jahrzehnten nicht mehr bombardiert. Trotzdem dachten alle zuerst an einen Luftangriff, als die grossen schwarzen Schiffe kamen und auf der ganzen Welt landeten. Damals wurden rasch Armeen zusammengezogen, der inszenierte Krieg war vergessen und es herrschte ein Echter. Ich war fasziniert, denn zum ersten Mal sah ich ein Programm im Fernsehen, dass nicht von der Geheimregierung gemacht worden war. Am Anfang sich überschlagende Nachrichten von Krieg und Terror, dann über eine angebliche Landung von Ausserirdischen, dann fielen alle normalen Sender aus und es wurde ein Programm in einer Sprache übertragen, die ich kaum verstand, die aber eine sehr entfernte Ähnlichkeit mit unserem Gotisch hatte. Mit der Zeit wurden diese Nachrichten dann in unserer Sprache gesendet.
Ein Programm das sich "imperiale Aufklärung" nannte, bombardierte uns mit Propaganda. Wir seien eine abtrünnige Welt, wir gehörten zu einem Imperium aus vielen Welten und wir würden nun befreit und repatriiert. Ich war von diesen Ereignissen ganz gefesselt. Ich wusste nicht, ob diese Meldungen echt waren und es kümmerte mich nicht. In einer Nacht brach ich in ein Waffengeschäft ein und entwendete so viele Schusswaffen und Munition wie ich tragen konnte. So bewaffnet machte ich mich zu fuss auf den Weg ins Zentrum von Hannover und erschoss unterwegs jeden Soldaten unserer Armee, den ich antraf. Ich wollte mich um jeden Preis dieser Invasionsstreitmacht anschliessen.

Viele Tage marschierte ich so. Mein Waffenarsenal füllte ich bei den Soldaten, die ich erschoss, wieder auf, aus ihren Nahrungspaketen ass ich das wenige, das ich benötigte. Oftmals musste ich mich übergeben. Ich konnte feste Nahrung kaum mehr zu mir nehmen. Wochenlang marschierte ich. Ich wurde viele male beinahe getötet, aber ich ging immer als Sieger aus den Kämpfen mit Polizei und Militär hervor. Ich fühlte die Reinigung mich durchfahren, wenn ich getroffen oder mit Messern verletzt wurde und mein brennender Hass liess mich oft genug nur Fleischfetzen zurücklassen. Ich war Blutbesudelt, als ich nach vielen Tagen mich dem Stadtzentrum näherte. Viel später erfuhr ich, dass ich in dieser Zeit zu einer Art von urbaner Legende geworden war, die Soldaten in ihren Häuserfestungen sich erzählten. Zu dieser Zeit kümmerte mich solches so wenig wie heute. Alles was ich wollte, war zu den Invasoren vorzudringen, um mich ihnen anzuschliessen. Immer hielt ich Ausschau nach Raumschiffen. In der Luft oder gelandet. Ich sah nie eins.

Dann, eines Tages, begegnete ich ihnen. Auf einem Platz nahe dem Zentrum der Stadt. Hier hatten heftige Kämpfe stattgefunden. Alles war in Ruinen und zerschossen. Ich schritt achtlos mit meinem Maschinengewehr durch die Trümmer, als ich sie das erste Mal erblickte. Und mein erstes Gefühl kann ich auch heute ganz genau wiedergeben: Enttäuschung. Namenlose Enttäuschung.

Die Invasoren waren gross. Viel grösser als ich. Sie trugen sehr merkwürdige Raumanzuge, die mit irgendwelchen Dekorationen geradezu verkrustet waren. Sie trugen übermässig grosse Abzeichen und Wappen, die mir mit ihrer Üppigkeit den Magen umdrehten. Nein. Diesen Invasoren wollte ich mich nicht anschliessen. Ich war schon dabei, mit meinem Gewehr auf die Gestalten anzulegen, als zwei andere zu meiner rechten auftauchten. Ein Mann und eine Frau. Ich drehe mich zu diesen um und war gefangen von ihrem Anblick.

Sie waren beide gross, aber nicht so gross wie die eigenartigen Soldaten. Sie waren ganz in schwarze Kleider ohne jeden Prunk und überflüssiges Brimborium gehüllt. Und sie waren mager, so wie ich. Kein Fett und keine Widerwärtigkeit an ihren Körpern. Sie erschienen mir rein, so wie ich mir selbst rein erschien. Sie waren mir damals genau das Gegenteil zu dieser Welt, das ich gesucht hatte.

Sie starrten mich an, so wie ich sie anstarrte. Bis nach einer Weile die Frau ihren Kopf zu dem Mann drehte und ihm etwas in diesem merkwürdigen Gotisch sagte. Der nickte. Dann schritt er durch das Trümmerfeld auf mich zu. Ich liess meine Waffe sinken, einem fernen Impuls gehorchend, ganz fixiert auf seine Augen. Sie waren kalt und hart und blau. Wie Eis unter einem Nachthimmel. Der Mann packte mich kräftig am Nacken und drehte meinen Kopf zur Seite. Ich benutzte keine Kampfkunst, um mich zu wehren. Ich liess alles geschehen. Er drückte mir mit einer fliessenden Bewegung etwas in mein linkes Ohr. Der Schmerz durchzuckte mich wie ein reinigendes Feuer. Dann trat der Mann zurück und als er sprach, konnte ich ihn verstehen. Er sagte zu mir:

"Du bist derjenige, den wir hier gesucht haben." Dann nickte er zu der Frau, die ihn begleitete. Diese schloss ihre Augen und schien sich auf etwas zu konzentrieren. Aber ich erkannte keinen Sinn in ihrem Handeln. Ich war ganz fasziniert von ihrem Körper, der rein und kräftig wirkte, wie gesäubert von allem Dreck dieser Welt. Nach einer Weile sagte die Frau: "Ja. Er ist es. blank. Völlig."

Erst jetzt bemerkte ich, dass die eigenartigen Soldaten einen Kreis um mich gebildet hatten. Denn einer von ihnen hob mich in die Höhe wie ein Spielzeug. Das Aussehen seines Anzugs widerte mich an, aber ich respektierte den harten Griff, der von Sicherheit und Reinheit sprach. Der Mann sagte: "Du wirst auf mein Schiff gebracht. Wir werden uns später wieder sehen. Wir haben hier noch viel zu tun."

Ich nickte nur und liess mich ohne Widerstand zu dem Schiff bringen. Es entpuppte sich als ein grosser, viereckiger Metallklotz, der Wohl einige hundert Quadratmeter Durchmesser hatte. Ich wurde durch Gänge getragen, die mich anwiderten, weil sie mit Bildern und Statuen voll gestellt waren. Ich war froh, dass in der Zelle, in die ich gesperrt wurde, nichts an den Wänden hing. Sie war, bis auf mich und eine Toilette, leer.

So liess ich mich dort einschliessen und sass auf den Boden. Ich wartete und weiss heute nicht mehr, wie lange ich gewartet habe. Aber es muss lange gewesen sein. Irgendwann ging die Tür zu der Zelle wieder auf und der dünne Mann stand im Licht des Ganges. Er schaltete von aussen die Beleuchtung in meiner Zelle ein und trat ins Innere. Ich erhob mich. Er starrte mich einige Zeit an. Sagte nichts. Ich sagte auch nichts. Was hätte ich sagen sollen. Er beeindruckte mich und ich hatte noch nie einen Menschen gesehen, der mich beeindruckte.
Irgendwann begann er dann zu sprechen.

"Du weisst nicht, wo du dich befindest, Junge?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Aber du hast keine Angst."

Ich nickte.

"Du hast überhaupt nie Angst. Stimmt das?"

Ich nickte.

"Du kannst keine Angst empfinden?"

Ich nickte.

"Dies ist das Inqusitionsschiff "Rechtschaffenheit". Ich nehme nicht an, dass dir dies etwas sagt. Ich bin Inquisitor Serking und die Frau, die du bei mir gesehen hast, heisst Sherlock."

Ich wunderte mich über diesen Namen.

"Es ist eine lange Geschichte..." fuhr er fort "....die ich dir zu erzählen habe. Du wirst mir zuhören."

Wieder nickte ich. Und der Mann, Inquisitor Serking, den ich viel später töten sollte, begann mir die Geschichte des Imperiums zu erzählen, so wie sie gelehrt wird in der Kirche des Imperators. Es dauerte lange und ich glaubte ihm natürlich nicht. Aber es war mir gleichgültig, ob das, was er sagte, stimmte oder nicht. Denn alles was ich über diese Organisationen erfuhr, sagte mir nur, dass sie masslos und unrein waren. Gierig wie die Konzerne, die meine Welt, Rorschach IV, beherrscht hatten. Aber ich hörte ihm zu. Ich wollte erfahren, warum er mich aufgegriffen hatte und was sich daraus für mich für Möglichkeiten ergaben. Das erfuhr ich erst ganz zum Schluss seines Stundenlangen Redens, als er mir von seiner Mission erzählte, die darin bestand, psychisch speziell begabte aufzusammeln, um sie an dieses Gerät anzuschliessen, mit dem sein Imperator angeblich eine Art Leuchtfeuer erzeugt. Daran können sich Schiffe orientieren. Ich glaubte dies damals alles nicht.

Ich war allerdings nicht aus diesem Grund aufgegriffen worden. Ich war hier, weil ich quasi das Gegenteil von einem solchen psychisch begabten bin. Mein Gehirn sei absolut immun gegen psychische Angriffe aller Art. Sherlock hätte dies heute bestätigt. Durch meine Anwesenheit auf Rorschach IV sei man überhaupt erst auf diese Welt aufmerksam geworden. Ich sollte auch nicht an dieses Gerät angeschlossen werden, sondern von der Inquisition ausgebildet werden. Auf einer Welt namens Terra, die das Zentrum des Imperiums sei.

Zunächst hielt ich davon nicht viel. Aber als ich näheres über die Aufgabe dieser Organisation erfuhr, wurde ich hellhörig. Ganz besonders, als er mir erklärte, dass die Reinheit das oberste Gebot sei, dass die Inquisition einhalten und sichern müsse. Daraufhin sprach ich ihn auf die Bilder draussen auf dem Flur an, sagte ihm, wie mich diese Dekorationen anekelten. Er schien äusserst zufrieden zu sein und versprach mir, dass sie entfernt werden würden. Man würde auf diesem Schiff mit meiner Ausbildung beginnen. Schon morgen. Wenn ich etwas brauche, solle ich es anfordern. Ich verlangte Bücher. Geschichtsbücher. So viele er mir geben könne. Daraufhin wurde ein Rechner in meine Zelle gebracht, auf dem einige tausend Bücher gespeichert waren. Als er mich wieder verlassen hatte, verbrachte ich noch lange Stunden mit lesen, ehe ich schlafen ging.

IV



Meine Ausbildung begann am nächsten "Tag" auf dem Schiff. Tag und Nacht existierten dort natürlich nicht wirklich. Es gab einen Chronometer, der die Zeit unterteilte. Meine ersten Lektionen bestanden aus Kampfsport und Meditation. Ich hatte kein Problem mit dem Kampfsport. Meine ersten beiden Lehrer mussten sofort durch bessere ersetzt werden, da ich sie sofort besiegte. Die Meditation war mir egal. Ich machte nicht wirklich mit, liess mich nicht auf die Stufen versinken, die der Ausbilder von mir verlangte. Stattdessen dachte ich während dieser Zeit über die Dinge nach, die ich gestern gelesen hatte. Trotzdem bestand ich auch in der Meditation alle Lektionen mühelos. Die Tests, die das zufügen von Schmerz beinhalteten, reinigten meinen Körper und meinen Geist auf ganz wunderbare Weise und da ich immer still blieb, nahm man an, dass ich tiefster Meditation sei.

Die Bilder und das widerliche Zeug wurden entfernt und ich konnte durch glatte, fast perfekte Gänge gehen. Ich war für eine Weile zufrieden. Von den merkwürdigen Soldaten sah ich keine mehr. Aus den Geschichtsbüchern erfuhr ich, dass diese die Marine waren, die heiligen Krieger des Imperiums. Sie hatten eigene Schiffe und unterstützten die Inquisition lediglich bei deren Aufgaben. Ich fragte einmal den Inquisitor Serking, den ich nur äusserst selten sah, was denn nun mit meiner Welt geschehen sei.
Sie sei repatriiert, das alte Regime aufgelöst und durch einen imperialen Gouverneur ersetzt worden. Es seien grosse Verbände der imperialen Armee damit beschäftigt, den Planeten wieder einzugliedern. Die alten Machthaber, die Konzernchefs, seien geflohen. Offenbar hatten diese noch Zugang zu Raumschiffen aus einer Zeit, da Rorschach IV noch eine imperiale Welt gewesen war. Ich war zufrieden damit, die Demokratie zerschlagen zu wissen und schwor mir, diese Konzernchefs später aufzuspüren und zu richten. Ganz besonders stellte mich zufrieden, dass es in den offiziellen imperialen Einrichtungen keine Medien wie das Fernsehen gab. Bildschirme wurden nur zu Arbeitszwecken genutzt. An der Propaganda des Imperiums gefiel mir allerdings ihr überladener Stil ganz und gar nicht. Ständig Fackelzüge und Prunkdekorationen und Fahnenmeere. Mir wurde mit der Zeit übel. Meine Ausbilder bemerkten dies und meldeten das Serking, der mich darauf ansprach. Er erklärte mir, dass ihn dieser Prunk auch anwidere, aber dass er notwendig sei, um die Massen zu beeindrucken. Das verstand ich. Trotzdem fragte ich, ob man denn überhaupt so grosse Menschenmassen brauchen würde. Man könne doch ohne Probleme drei viertel davon eliminieren und mit dem Rest die Reinheit viel leichter einhalten. Das wurde von Serking gekontert, indem er sagte, die Masse sei unser wichtigstes Bollwerk im Kampf gegen die zahllosen Feinde denen man sich gegenübersähe und von denen ich noch erfahren würde. Dabei liess er es bewenden. Er sah mich allerdings einen Moment lang komisch an, als ich meinen Vorschlag machte.

Die restliche Zeit auf dem Schiff "Rechtschaffenheit" verging mit meiner Ausbildung und viel Lesen sehr schnell. Ich kam gut vorbereitet und mit einem stark vergrösserten Wissen auf Terra an. Von Anfang an nur auf dem Gelände der Inquisition. Ich habe den imperialen Palast nie gesehen und bereue dies nicht. Die Bilder von dieser Monstrosität reichten mir. Die Gebäude der Inquisition waren besser, aber leider auch viel zu oft mit unnötigem Plunder behangen, vor dem ich die Augen verschliessen musste. An Bord des Schiffes hatte ich meine Diät noch weiter perfektioniert und kam jetzt mit einer einzigen konzentrierten Nährlösung pro Tag aus, während meine Kraft und Kondition weiterhin zunahm.

Ich richtete mein Quartier so ein, dass es für mich annehmbar war und beteiligte mich am Unterricht, wie es von mir verlangt wurde. Es war am Anfang sehr interessant. Denn hier traf ich bald auf Gegner, die ich nicht leicht schlagen konnte und mir wurden Kampfkünste beigebracht, die ich mir nicht hatte vorstellen können. Dennoch meisterte ich auch diese. Daneben wurde ich in der imperialen Sprache und einigen verwandten Sprachen ausgebildet. Auch alle anderen Disziplinen bekam ich vermittelt, wobei ich erst feststellte, wie sehr die Tatsachen der Physik und der Chemie in den Medien meiner Heimatwelt verdreht worden waren.

Ich hatte allerdings zunehmend Probleme damit viele meiner Lehrpersonen zu ertragen. Ihre Körper, ihre Gerüche, ihre Behaarung, widerten mich an und mit der Zeit wurde mir in ihrer Präsenz übel. Da ich ein besonders wertvoller Schüler war, wurden mir oft Sonderwünsche genehmigt, aber als ich anforderte in Zukunft die körperliche Erscheinung meiner Lehrer selber wählen zu dürfen versagte man mir dies. Man begründete das damit, dass diese Lehrer aufgrund ihrer ganz besonderen Fähigkeiten unersetzbar seien.

Damit stand ich vor einem Dilemma. Mit der Zeit wurde meine Übelkeit in ihrer Gegenwart so stark, das ich mich erbrach. Ich wurde zunächst vom Unterricht suspendiert und in mein Quartier verwiesen, während man beriet, was mit mir geschehen solle. Ich selbst dachte in dieser Zeit intensiv darüber nach, wie ich dieses Problem lösen könnte. Ich dachte an Reinigung. Ich müsste mich reinigen von diesem Makel, damit ich mich der Widerwärtigkeit des Fleisches ohne Schaden stellen könnte. Ich wusste: ich bedurfte eines grossen Schmerzes, um diese Reinigung herbeizuführen. Ich entwendete bei einer Gelegenheit einen Kanister Treibstoff, mit dem ich mich in meinem Quartier übergoss und mich selber anzündete. Während ich so dastand und brannte, fühlte ich zugleich, wie der Makel aus mir heraus gebrannt wurde, ich fühlte, wie die Wertlosigkeit dieses Fleisches von den reinen Knochen gezehrt wurde und mit dem Fleisch alle seine Schwächen. Ich löschte mich selbst und suchte dann die Krankenstation auf. Der Schmerz, den das Gehen und sich bewegen in diesem Zustand verursachten, erhob mich in neue Dimensionen der Reinigung. Kraft durchströmte mich und meine Muskeln und Sehnen wurden unter der schwarzen Kruste meiner verbrannten Haut hart wie Plaststahl.

Man nahm mich mit einigem Entsetzen in der Krankenstation auf. Später musste ich mir eine Ausrede für den Vorfall ausdenken. Ich erzählte eine hanebüchene Geschichte von einem Meditationsritual, welches ein Feuer beinhaltet, über das ich wohl die Kontrolle verloren hätte. Man glaubte mir nicht und tat aber nichts weiter. Ich war zu wertvoll in den Augen einiger Leute. Aber von nun an war ich fähig, mit jeder noch so widerlichen Person zu lernen. Mein Ekel war jetzt nur noch rein psychischer Natur. Das brachte alle sofort zum schweigen, die mir kritisch gegenüber gestanden hatten. Denn von nun an war ich das Wertvollste, was die Ausbildung zu bieten hatte.

Gewiss stellte man sich hinter meinem Rücken fragen. Die Inquisition war die erste Umgebung für mich gewesen, in der nicht jeder sofort ängstlich vor mir zurückgewichen war. Doch mit der Zeit fing das auch hier an. Ich wurde den Lehrern unheimlich, so wie sie mir widerlich waren. Von anderen Auszubildenden wurde ich grundsätzlich ferngehalten. Trotzdem trieben die obersten Lehrmeister meine Ausbildung über viele Jahre voran. Sie glaubten wahrscheinlich in mir eine Art Wunderwaffe entdeckt zu haben. Als Interrogator setzten sie mich immer wieder auf bestimmte Typen an. Abtrünnige mit besonderen psychischen Fähigkeiten. Manchmal zum Test, manchmal ernst. Ich brachte alle zu Fall und vor Gericht. So wie ich nach und nach auch immer mehr von den Leuten in meiner Umgebung vor Gericht brachte. Ich machte mir immer Notizen. Beobachtete jeden. Ich ertrug ihre unreine Erscheinung, aber ich tolerierte niemals unreines Benehmen. Und mit solchem Verhalten trieben mich die Lehrer fast in den Wahnsinn. Bald wusste ich alles. Eine widerliche Affäre zwischen zwei männlichen Ausbildern brachte ich ans Licht und ich verlas die Anklage bei ihrer Hinrichtung. Das ekelhafte "Privatleben" einer Lehrerin für Sprachen wurde ihr zum Verhängnis, als sie es bei mir versuchte. Dann ein oberer Lehrmeister, der sich blasphemische und pornographische Schriften auf seinen eigenen Rechner kopierte, ein ketzerischer Lehrer für Physik, sogar ein Inquisitor standen bald durch mich vor einem rechtschaffenen Gericht und wurden getilgt. So ging es ständig. Es bereitete mir einige Sorge, dass in einer Organisation, welche die Reinheit bewahren soll, so viel Unreinheit wohnt. Ich begann mich mit wachsender Machtposition immer mehr um die Regelungen der Tagesabläufe zu kümmern. Ich schrieb neue Diäten, strengere Handhabung aller Vorschriften und die strengere Bestrafung auch kleiner Vergehen vor.
Ich war wie ein reinigender Schmerz, der durch die Katakomben der grossen Organisation unter der Erde von Terra fegte.

Man arbeitete gegen mich. Sogar von höchster Stelle aus. Mordanschläge, Rufmord, der Versuch, mich zu exkommunizieren. Alles vergeblich. Denn ich war so gut wie immer wach. Ich hatte mir mein Schlafzentrum entfernen lassen und brauchte jetzt pro Tag noch eine Stunde Schlaf. Diese Option der Körpermanipulation steht eigentlich grundsätzlich jedem Menschen offen, aber ich kenne ausser mir nur zwei andere Menschen, die sie je wahrgenommen hatten. Beides Inquisitoren, beide vor Jahrhunderten. Offenbar hängt der Rest der Menschheit zu sehr an ihren bedeutungslosen Traumbildern. Ich war nun allen immer einen Schritt voraus und ich hatte auch Protektion durch einige sehr hohe Würdenträger der Kirche, die mich bewunderten und dachten, dass sie meine Freundschaft gewinnen könnten.

Ich bewunderte derweil niemanden und war niemandes Freund. Mein Blick war immer suchend. Ich entdeckte bei jedem den Makel und ich selbst entschied, ob der Makel gross genug für die Hinrichtung war. Meistens war er es.

Aber am strengsten ging ich mit mir selber ins Gericht. Ich hatte einen Notizblock, in dem ich ganz genau meinen Tagesablauf festlegte. Auf die Sekunde genau. Ich war immer und um jeden Preis pünktlich und ich liess niemals von den mir gestellten Aufgaben ab. Daneben las ich alle Bücher zur Kirche und zur Inquisition und kannte alle Gesetze bald besser als meine Vorgesetzten. Auch Geschichtsbücher studierte ich eingehend und ich war immer auf der Suche nach meiner Heimatwelt. Ich fand lange, lange nichts. Einmal traf ich Serking wieder und fragte ihn nach der genauen Lage meiner Heimatwelt. Er gab mir zur Antwort, dass er mir nicht offenbaren könne, wo meine Heimat liege, da die alten Daten zusammen mit seinem alten Schiff verloren gegangen seien. Ich könne mich allerdings an die Archive hier wenden. Er wusste ganz genau, dass dies ein aussichtsloses Unterfangen war und von dieser Stunde an hatte ich ihn im Verdacht, etwas zu verbergen. Ich suchte die Archive trotzdem auf. Ich konnte nichts finden, ausser einigen Hinweisen darauf, dass hier schon sehr lange Manipulationen betrieben werden.

Nach weit über zehn Jahren der Ausbildung war ich das, was alle in der Organisation am meisten fürchteten und ich hatte dort schon weit über zehntausend Mitglieder selber gerichtet. Ich war einigermassen zufrieden damit, dass die Organisation jetzt zwar nicht reiner war, aber mit den unreinen ohne falsche Gnade umsprang. Ich hatte die ganze Inquisition gestrafft und um ein vielfaches schlagkräftiger gemacht. Die höchsten Kirchenoberhäupter, fünf an der zahl, von denen vier auf meiner Abschussliste standen, verliehen mir persönlich die höchsten Weihen und machten mich zum Inquisitor Puritas des Ordo Haereticus, im Namen des Imperators, dessen Makel ich schon lange kannte und der mir nichts bedeutete. Zu diesem Zeitpunkt war ich längst auf der Suche nach Möglichkeiten, die Menschheit wirklich von ihren schmutzigen Widerlichkeiten zu befreien. Die Wissenschaft bot einige Experimentierfelder, die mich stark interessierten. Ich hatte einen ganzen Katalog von Experimenten in meinem Handgepäck, als ich auf meine ersten Missionen ausgesandt wurde. Ich sollte sie alle durchführen.

Ich bekam ein Schiff, das ich auf den Namen "Malleus Maleficarum" taufte und das ich von allen Ornamenten und allen widerlichen Devotionalien säubern liess, bis nur der Stahl übrig war, was mir ermöglichte, ohne den ständigen Ekel durch die Gänge zu schreiten. Ich stellte die Mannschaft zusammen. So wenige wie möglich. Ich liess alle Männer kastrieren, enthaaren und mittels einer von mir und einem Arzt den ich später hinrichten liess, entwickelten Chemotherapie auf das exakt reine Körpergewicht bringen. Mit der einen Frau an Bord verfuhr ich genauso. Ich erlaubte ihr, das Haupthaar weiterhin zu tragen und liess sie dafür nie in meine Nähe. Sie war nur für den Fall an Bord, dass besondere psychische Talente benötigt würden. Die übrige Mannschaft bildete ich persönlich aus und machte sie zur reinsten und am meisten gefürchteten Begleitung, die je ein Inquisitor besessen hatte. Jeder konnte fast alles auf dem Schiff selber tun, jeder war ein ausgezeichneter Kämpfer, ein Kulturen- und Sprachenkenner und ein Gelehrter in den Gesetzen der Kirche. Einer war zugleich mein Navigator, ein anderer mein Astropath.

So flog ich zu meinen Missionen. Ich war ein Hüter des Glaubens und bald war mein Name im Imperium bekannt. Die Missionen, die ich erhielt, waren allerdings dermassen leicht zu bewältigen, dass ich mich mit dem Problem konfrontiert sah, sehr viel freie Zeit zu haben. Ich hatte also die Möglichkeit, mit meinen lange geplanten Testreihen zu beginnen. Es musste sich mir nur noch eine Gelegenheit bieten. Leider waren meine Aufträge meistens klein. Aufdeckung von ketzerischen Verschwörungen innerhalb der Kirche, geheime Chaoskulte... meine Mannschaft wurde damit allein fertig und ich war oft nur noch dabei, um ihnen überall zutritt zu verschaffen. Meine Situation war sehr unbefriedigend.

So begann ich meine freie Zeit genauestens zu unterteilen und nutzte jede Minute sinnvoll aus. Der grösste Teil dieser Zeit wurde für Nachforschungen verwendet. Ich hatte inzwischen Zugang zu vielen geheimen Archiven der Inquisition und mit jedem Jahr wurden mir mehr eröffnet. Obwohl es damals wohl noch viele gab, die im Rang höher standen als ich, gab es doch in meiner Zeit keinen, der die Geheimen Aufzeichnungen besser und eingehender studiert hatte als ich. Ich suchte nach drei Dingen. Erstens nach meiner Heimatwelt und deren geflohenen Herrschern. Dazu fand ich lange nichts. Dann nach weiteren solchen Welten, von denen ich einige fand und die ich mir vormerkte. Dann durchwühlte ich alle wissenschaftlichen Archive nach Möglichkeiten zur Verbesserung von Menschen. Die Weltraum-Marine war dabei kein Vorbild für mich. Diese Züchtungen waren wohl körperlich besser, aber geistig so unrein wie alle anderen Menschen. Ich verachtete sie.

Mit den Jahren, in denen ich zu meinen Missionen die Galaxis durchkreuzte, begann ich vieles herauszufinden. Zum Beispiel, dass ich nicht nur tatsächlich alles anfordern konnte, was ich brauchte, sondern auch, dass ich auch ansonsten alles machen konnte, was mir richtig erschien. Es schien keine Instanz zu geben, die sich spezifisch darum kümmerte, ob ich mich in einer klassischen oder doch eher unorthodoxen Art an meine Aufgaben machte. Darin erkannte ich bald meine Möglichkeit. Ich begann, meine Aufträge in langen Nächten wieder und wieder durchzulesen, um die Möglichkeiten in den Zeilen zu erkennen, die mir eine Auslegung des Auftrags eröffneten, in der ich meine Testreihen beginnen konnte. Denn niemals hätte ich die Gebote der Organisation verletzt, der ich diente. Es war mir nicht möglich, so sehr ich deren Mitglieder auch verabscheute. Denn das Regelwerk war rein, so wie ich. Ich identifizierte mich nur damit und mit sonst nichts in der Organisation. Also musste ich die Anweisungen genau kennen, um mir meine Möglichkeiten in einem reinen Rahmen zu verschaffen.

Ich fand diese Möglichkeiten bald. Die Stümper, die mir meine Aufträge gaben, liessen oft so viel Freiraum, dass ich eigentlich hätte genauere Anweisungen verlangen sollen. Das tat ich nicht. Ich füllte den leeren Raum selber aus. Besser als sie.

Auf den bewohnten Planeten des Theresa-Systems liess ich bei den Säuberungen auf allen Kontinenten grosse Konzentrationslager durch die Weltraum-Marine anlegen. Ich stellte dabei fest, dass deren Orden in ihrer Unreinheit bereits so weit degeneriert sind, dass sie sich anmassen, selber entscheiden zu können, ob sie der Inquisition zur Hand gehen sollen oder nicht. Manchmal musste ich Ordensgrossmeister persönlich überreden. Das habe ich nie vergessen und ich wage zu prophezeien, dass diese Orden, gerade die angeblich "loyalen" eines Tages der Untergang dieses Reiches sein werden. Doch zurück zu meinem Bericht.
Ich liess die Raum-Marine nun also grosse Konzentrationslager anlegen, in denen ich nach und nach durch ausgewählte Wissenschaftler die Bevölkerungen dieser Welten bei Experimenten verbrauchte. Es war eine unbefriedigende Sache. Die Menschen erwiesen sich als noch schwächer, als ich sie eingeschätzt hatte. Innerhalb von zwanzig Jahren hatten meine Mannschaften die Bevölkerungen von zwei ganzen Welten verbraucht, ohne dass ich irgendwelche weiteren Erkenntnisse hinzugewonnen hätte, ausser eben wie schwach Menschen sind. Meine Versuchsanordnungen umfassten dabei in erster Linie Experimente zur Ausfilterung solcher Typen, die möglicherweise ähnliche Merkmale wie ich aufwiesen. Vergeblich. Wir fanden nicht einen. Ich testete Reaktion auf Schmerz, auf Isolation, auf Stress, auf Hunger und vor allem auch auf reine Umgebungen. Hierbei waren meine Erkenntnisse eher niederschmetternd. Denn ich stellte empirisch fest, dass die allermeisten Menschen auf die von mir bevorzugte Umgebung negativ reagierten. Körperlich und seelisch. Es war nicht gut. Die paar wenigen, die nicht negativ reagierten, waren anderweitig schwach. Nicht belastbar. Auch die geistigen Fähigkeiten der getesteten waren weit unter meinen Erwartungen.

Ich war so oft ich konnte im Theresa-System und niemand kümmerte sich darum, was ich dort tat. Meine anderen Aufträge führten mich manchmal weg, aber meistens nur kurz. Zwanzig Jahre verbrachte ich fast ausschliesslich dort und fand nichts, dass mich zufrieden gestellt hätte. Im Gegenteil. Meine neuen Erkenntnisse über die Menschen erfüllten mich mit einem noch tieferen Misstrauen gegenüber meiner Mannschaft. Sie waren zwar besser als die Getesteten, aber doch auch Menschen. Unrein, sobald ich sie aus meiner Obhut entliess.

Ich stellte aber auch über mich selbst schlechtes fest. Ich war so oft ich Zeit hatte, bei den Experimenten persönlich dabei, um den Verlauf zu beobachten. Bei einem Versuch, der die Widerstandsfähigkeit einer jungen Frau gegen elektrische Stromstösse in verschiedenen körperlichen Zuständen feststellen sollte und der von Anfang an auf den Tod der Frau ausgelegt war, stellte ich zu meiner Verstörung fest, dass gewisse Teile des Experimentes bei mir eine unzweifelhaft sexuelle Erregung auslösten. Ich verliess, als ich dies feststellte, fluchtartig das Lager, kehrte in mein Quartier auf meinem Schiff zurück, wo ich mich umgehend selbst kastrierte. Wie ich kurz darauf feststellte, hätte ich das schon viel früher tun sollen. Denn nun ekelte ich nicht mehr so stark vor dem Geruch meines eigenen Körpers. Ausserdem machte die Kastration Reparaturen an meinen Stimmbändern notwendig, nach denen sich meine Stimme wie das Rascheln trockenen Laubes anhörte. Dies verlieh meinem Wesen etwas ganz angenehm Nichtmenschliches. Ich begann daraufhin, mich selbst der gleichen Chemotherapie wie meine Mannschaft zu unterziehen und fühlte eine gewisse Reinigung in mir. Allerdings hatte dies nun zur Folge, dass mir der Geruch von nicht kastrierten und sterilisierten Menschen generell absolut zuwider wurde. Fortan mussten auch alle meine Mitarbeiter in den Lagern so gereinigt sein, dass ich mit ihnen weiter umgehen konnte. Auch begann sich nun mein altes Problem der körperlichen Übelkeit langsam wieder einzustellen.

Als die recht erfolglose Testreihe dann beendet war, liess ich die Lagermannschaften töten und rief die Marine, damit sie die Planeten mit Virusbomben säuberte. Der Anblick der brennenden Planeten übte auf mich einen gewissen Reiz aus, so dass ich mich bald vor meinen eigenen Gefühlen ekelte und mich abwendete.

So verfuhr ich in einer weiteren mehr als zweihundertjährigen Laufbahn auf vielen Welten und ich fand nichts. Niemals mischte sich jemand ein, denn mein Erfolg als Inquisitor gab mir immer recht und wenn ich auch nicht das fand, wonach ich bei meinen Versuchen suchte, so gaben mir die Resultate der Testreihen doch ein grosses neues medizinisches Wissen, dass mir bei meinen Einsätzen immer sehr nützlich war. Ich stieg rasch auf. So wie die Organisation mich förderte, so reinigte ich ihre Reihen nach und nach. Nie war die Inquisition näher an ihrem Ideal der Reinheit, als in der Zeit, da ich Grossinquisitor war. An die zahllosen Versuche von oben und unten, mich zu ermorden, hatte ich mich längst gewöhnt und üblicherweise waren diese so stümperhaft, dass sie mich zum Lachen gebracht hätten, wenn ich lachen würde. Mein Name wird genannt bei der Zerschlagung der Belenos-Häresie, bei der Vernichtung der demokratischen Systeme zu Urd, bei der Ausrottung der Unreinen auf Mordechai I, II und VII, bei der Niederschlagung der Aufstände der Zwingherren von Arktogäa, bei der totalen Vernichtung des freien Handels im ganzen Segmentum Pacificus und noch bei zahllosen weiteren Taten, die in den Archiven wohl als "Grosstaten" bezeichnet werden. Für mich waren sie weniger als nebensächlich. Sie hatten keine Bedeutung. Nur ihre perfekte Ausführung bedeutete mir etwas.

Trotzdem war ich immer häufiger unzufrieden und hatte immer mehr mit dem Ekel vor meiner Umgebung zu kämpfen. Ich liess mir die Geruchsnerven herausnehmen, so dass ich meine Umgebung überhaupt nicht mehr riechen musste, was zumindest eine kleine Erlösung war. Aber auch übrige Vorgänge des Körpers störten mich mehr und mehr. Insbesondere die widerlichen Verdauungsvorgänge. Ich sass nächtelang an meinem Rechner und forschte in meinen Unterlagen nach Möglichkeiten, das Gedärm durch künstliche Organe zu ersetzen, die alles ohne Ausscheidungen verarbeiten könnten. Auf Calvin II liess ich ein Lager einrichten, wo ich die planetare Bevölkerung für Experimente dieser Art verwendete aber leider feststellen musste, dass es offenbar nicht möglich ist, den Körper soweit zu manipulieren. Zumindest nicht in der imperialen Medizin. So begann ich bald, mich nach anderen Quellen umzusehen. Zum einen waren da die Priester des Mars, die über viele technologische Geheimnisse wachen. Ich begann über Möglichkeiten nachzudenken, wie ich an dieses Wissen kommen könnte, aber ich fand keinen gangbaren Weg, solange ich in der Inquisition war. Die Priesterschaft steht unter höchster Protektion. Trotzdem schrieb ich mir einige verwendbare Szenarien auf, die ich auf den Plan bringen könnte, um diesen Zustand zu ändern. Zunächst aber wandte ich mich den Archiven des Ordo Xenos zu und wühlte besessen darin, um alles Verwendbare über ausserirdische Technologie herauszufiltern.
Tatsächlich führte ich meine Aufträge als Inquisitor längst nur noch als Nebentätigkeit aus. Was aber keinesfalls bedeutet, dass ich sie nicht mit absoluter Genauigkeit und in der allergrössten Reinheit ausgeführt hätte. Als Grossinquisitor standen mir mehr Mittel den je zur Verfügung. Ich gebot über ein ganzes Heer an Menschen, die meine Aufträge ausführten. Ich war ihr Hüter und Wächter über ihre Reinheit. Ein Inquisitor unter mir hatte eine maximale Lebenserwartung von drei Jahren. Alle verfielen sie den unreinen Wegen. Es war eine Schande und immer öfter trat ich auf der Toilette vor einen Spiegel, um mein Gesicht zu betrachten und mich zu fragen, was ich eigentlich auch nur im Entferntesten mit diesen Menschen gemeinsam hätte.

Aber ich hatte im Verlauf der Dekaden auch ganz andere Probleme. Meine Nerven, die ich zur Reinigung durch Schmerz so dringend benötigte, starben langsam ab. Es gab Möglichkeiten zum genetischen Wiederaufbau, aber diese waren unbefriedigend. Die nachgewachsenen Zellen funktionierten nicht so, wie die alten. Es wurde für mich zusehends schwieriger, den Grad an Schmerz zu erreichen, den ich für eine effektive Reinigung benötigte. Also musste ich experimentieren. Ich musste neue Körperstellen mit unverbrauchten Nerven finden, die ich bearbeiten konnte. Ich konnte mich schliesslich nicht dauernd selber in Brand stecken. Schon so wurde mein Zustand immer auffälliger und es begannen Gerüchte über mich umzugehen, die ich ganz und gar nicht begrüsste. So wurde mir nachgesagt, ich sei einem perversen Kult des Slaanesh verfallen und auch die exzessivsten Zensur-Aktionen meinerseits konnten diese Gerüchte nicht zum verstummen bringen. Ich befand mich einmal mehr in einem Dilemma. Meine Zunge war durch Bearbeitung zerstört und musste durch eine künstlich nachgezüchtete ersetzt werden, meine Lippen waren zerschnitten, die Hände oft in Fetzen, ganz zu schweigen von Körperteilen, die man unter der Kleidung verbirgt... es wurde immer schwieriger, für diesen Zustand Erklärungen zu finden.

Zu dieser Zeit stiess ich auf die Spur meiner Heimatwelt Rorschach IV. Für eine Weile war ich ganz mit der Aufgabe befasst, eine Reise dorthin zu organisieren und vergass meine Probleme für kurze Zeit. Ich flog baldmöglichst dorthin, indem ich die Verwerfung direkt dorthin mit meiner inzwischen neunzigsten selbst zusammengestellten Mannschaft durchquerte. In meiner ganzen Laufbahn hatte ich niemals Probleme gehabt, die Verwerfung zu durchfliegen. Es schien mir, dass die so gefürchteten Kreaturen dort vor mir flüchteten, wenn ich ihren Raum betrat. Es war mir gleichgültig. Ich wollte zu meiner Heimatwelt, um Spuren der einstigen Herrscher zu finden. Ich fand mehr. Viel mehr.


V



Als ich im Orbit von Rorschach IV eintraf, stellte ich fest, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Es befand sich keinerlei imperiale Präsenz um und auf der Welt. Stans ergaben, dass sich der Planet ziemlich genau in dem Zustand befand in welchem ich ihn verlassen hatte. Sofort liess ich durch meine Leute weitere Untersuchungen anstellen. Diese Untersuchungen förderten zutage, dass auf dem Planeten exakt dieselben Zustände wie vor dem kommen der Inquisition herrschten. Dasselbe Staatensystem, dieselben Konzerne, die gleiche Regierung.

Sofort schoss mir der Name des Mannes durch den Kopf, den ich bislang trotz aller meiner Bemühungen, seinen Makel zu finden, niemals auf die Anklagebank hatte bringen können:
Serking! Und jetzt wusste ich auch, warum dieser mich immer belogen hatte. Er hatte die ganze Zeit gewusst, wo Rorschach IV liegt. Er hatte diese Welt studiert und mit ihren Herrschern einen Pakt geschlossen. Welcher Art auch immer. Ich sollte es noch erfahren.

Ich liess den Planeten nach Serking scannen und fand ihn leicht. Ich landete mit den zwei fähigsten Kämpfern meiner Mannschaft in der Nähe des angegebenen Zielortes. Ich war froh, nichts mehr riechen zu können, denn schon der Anblick meiner Heimatwelt liess es mir übel werden. Das hier war ein Bordellviertel in Hannover. Nicht in Gudhavn, aber doch zumindest Hannover. Wir durchkämmten jeden Laden und richteten die unreinen Menschen dort. Im dritten fanden wir Serking. Und Sherlock. Sherlock war tatsächlich ein Mann. Beide waren gerade mit einer dritten Person sehr beschäftigt, als sie uns erblickten. Und im roten Licht erbleichten.

Es war eine lange und schwierige Aufgabe, aus Serking und Sherlock herauszubekommen, was ich wissen wollte. Normale Foltermethoden wirken bei von der Inquisition ausgebildeten nicht. Hier kamen mir meine umfangreichen Testreihen sehr zugute. Ich fand Möglichkeiten, ihnen Qualen zu bereiten. Aber selbst unter diesen dauerte es Wochen, bis Serking schliesslich zerbrach. Er brauchte mir nicht mehr zu sagen, was er für seine Kooperation mit den Konzernbossen erhalten hatte. Hinter dem Bordell, das inzwischen ihm gehörte, hatten wir ein Krematorium gefunden, in dem tausende von Leichen verbrannt worden waren. Einige seiner Spielzeuge hatten noch gelebt, als wir sie fanden, sie gaben uns bescheid über Serkings und Sherlocks recht ausschweifendes Sexualleben. Ich wollte nur die Namen der Konzernbosse. Ich wollte diese drei Männer haben. Um jeden Preis. Ich ekle mich noch heute, wenn ich an die Heftigkeit dieses Wunsches denke. Sie war ein Makel meiner Reinheit.

Serking sagte mir drei Namen und gab mir die Orte an, wo ich diese Männer finden konnte. Dietrich in Kapstadt. Hundt in Crailsheim und Devon in einem unklassifizierten System unweit des Karpath-Systems.

Ich tötete das, was von Serking noch übrig war. Sein Weinen und seine Bitten nach Vergebung am Ende machten ihn mir noch abstossender und ich empfand eine Befriedigung, als meine Kugel sich in diesen verschmutzten Kopf bohrte. Von Sherlock war inzwischen nur noch der Kopf und der Rumpf übrig. Er hatte auch keine Augen mehr und winselte sogar noch erbärmlicher als sein Mentor Serking. Ich beschloss, ihn für spätere medizinische Versuche am leben zu erhalten. Zunächst war ich ganz darauf konzentriert, die Zwei Männer zu finden, die hier auf dem Planeten waren. Dietrich und Hundt. Ich wusste, dass in mir etwas vorging, dass ich geradezu widerwärtig emotional war in meinem Eifer, aber etwas trieb mich mit Macht vorwärts und ich vermochte mich nicht zu widersetzen.

Kapstadt und Crailsheim. Die reichsten Makropolen auf Rorschach IV. Auf einem Kontinent namens Neronien, wo fast nur die obersten Schichten lebten. Ich fand Dietrich in der Chefetage des Gebäudes von Mediatec, dem grössten Medienvertrieb der Welt. Ich durchschritt das Gebäude mit meinen Kämpfern wie ein reinigender Sturm, erschoss alles und jeden. Tausend Schmutzflecken auf vierhundert Etagen. Alle meine Sorgen waren für eine Zeit vergessen. Es war - so widerlich mir schon die Formulierung dieses Wortes ist - ein Hochgefühl.

Ich betrat Dietrichs Büro allein. Ich fand einen alten, verfetteten, fast kahlen Mann hinter einem glatt polierten grossen Schreibtisch vor. So widerlich, wie ich mir diese Männer immer vorgestellt hatte. Er schreckte auf hinter seinem Tisch.

"Wer sind sie? Wie kommen sie hier herein?" Er war schon dabei, einen Knopf zu drücken auf seinem Tisch, aber ich trat mit raschen Schritten und einem steinharten Gesicht an ihn heran und beugte mich über den Tisch, um ihm das Siegel zu zeigen, von dem ich wusste, dass er es kannte.

"Die Inquisition ist wieder da, Dietrich. Serking ist fort. Gerichtet. Vor ihnen steht der Hammer des Imperiums!"

Ich hätte das nicht zu sagen brauchen. So wie er mich anstarrte, wusste er, was die Stunde geschlagen hatte. Und er tat dann das, was ich von ihm erwartet hatte. Stotternd kam er in die Gänge:

"Ich... ich... wir... wir können sicher..... einen... eine Übereinkunft finden... nicht wahr Herr...?"

"Sehe ich aus wie Serking? Sehe ich aus wie ein Unreiner? Höre ich mich an wie ein Mann mit menschlichen Schwächen?"

Dietrich war kreideweiss und in mir wogten Gefühle, die mich fast erbrechen machten. Der Schweiss lief ihm in Sturzbächen runter. Ich beugte mich nah an sein rechtes Ohr herunter und flüsterte ihm zu, was wir mit ihm machen würden wegen seiner zahllosen Verbrechen. Ich sagte ihm, was mit seiner Familie geschehen wird und was ich dann noch tun würde, um seinen Kadaver vielleicht vom Schmutz all seiner Sünden zu reinigen. Aber das hörte er längst nicht mehr. Er war tot. Gestorben vor Angst. Stress. Herzstillstand.

Ich erhob mich. Befriedigt. Angewidert von meinen Emotionen. Ich musste zurück auf mein Schiff und mich von diesem Schmutz reinigen.

Wir fanden Hundt eine Woche später in einer seiner Privatvillen. Hundt war der Inhaber der Hundt-Gruppe, einem riesigen Imperium von verschiedenen Produktionsfirmen. Ausserdem war er Chef jener drei grossen "Staatsbanken" die das Kapital auf Rorschach IV kontrolliert hatten. Ein alter Mann auch er. Aber aus anderem Holz geschnitzt als Dietrich. Er war einigermassen schlank und noch gut zu Fuss. Er hatte etwas Hartes in seinem Gesicht, das fast wie ein perverses Zerrbild von Rechtschaffenheit wirkte. Er hatte schwarz gefärbte Haare und stand vor mir in einem teuren Bademantel. Ich starrte ihn nur an. Ich erkannte auch bei ihm Angst unter seinem unbeweglichen Äusseren. Aber er hatte sich unter Kontrolle. Er wusste genau, wer ich war. Was ich repräsentierte. Er versuchte dasselbe wie vor ihm Dietrich, nur auf eine etwas andere Weise. Ich hatte mir vorgenommen, mich bei dieser Begegnung keinesfalls noch einmal so von Emotionen überwältigen zu lassen. Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass in mir ein Gefühl von Befriedigung hochstieg, während seine Versuche, sich aus dieser Situation herauszuwinden, scheiterten. Ich führte ihm auf seiner eigenen Videoanlage das Schicksal von Serking vor Augen und ich schwor mir, mich selbst gerecht zu verurteilen und zu bestrafen, als ich bei der Manifestation von Panik in seinem Gesicht tatsächlich Freude empfand. Ich wusste nicht, was mit mir geschah und das beunruhigte mich zusehends.

Nach einer Weile solcher psychischer Bearbeitung betrachtete ich Hundt als reif für eine Befragung über Devon und ich erlebte eine Überraschung. In Hunds Gesicht zeigte sich unter all seiner Panik plötzlich so etwas wie Verwunderung und dann... er starrte mich an mit... Erkenntnis?

Ich konnte es nicht genau sagen. Man hätte es näher untersuchen sollen, doch ich kam nicht mehr dazu, diesen Mann weiter zu befragen, denn unvermittelt hatte er eine Pistole aus seinem Bademantel hervorgezogen und erschoss sich damit. Ich konnte ihm keine Fragen mehr stellen. Ich war einen Moment lang perplex. Ganz klar hatte Hundt irgendein Wissen über mich oder meine Herkunft, welches ich nicht hatte. Und er hatte es mit in sein Grab genommen.

In einem Zustand der Verwirrung, wie ich ihn vorher nicht gekannt habe, kam ich zurück auf die "Malleus Maleficarum". Mir war übel vor meinen Emotionen. Alles fühlte sich falsch an um mich herum. Ich musste zunächst einmal eine Bestrafung für mich finden, da ich mich mit meinen Gefühlsexzessen schwerstens gegen die Reinheit des Geistes vergangen hatte. Dazu musste ich erst einmal eine Strafe finden, die von mir überhaupt als eine solche empfunden würde.

Der Abend sah mich an der Tür zum Quartier meiner gegenwärtigen Astropathin. Ich musste mich zwingen, ihre Klingel zu betätigen und als sie mir öffnete, trat ein kaltes Grausen in mein ganzes Wesen, Körper und Seele. Sie war die einzige Person an Bord, die nicht nach meinen üblichen Vorschriften behandelt worden war. Ich sah sie sonst nie und erlaubte ihr nicht, dieses Quartier zu verlassen. Ich kommunizierte mit ihr nur über einen Mittelsmann. Aus religiösen Gründen, die sie sehr clever formuliert hatte, hatte ich sie nicht behandeln können und ich brauchte sie. Sie war die Fähigste Astropathin im ganzen Imperium. Sie wahr generell stark behaart, wie alle Frauen ihres Stammes, aber ihr Haupthaar war in Jahrzehnten nicht geschnitten worden und bildete nun eine dichte, schwarze Matte.

Ich trat zu ihr herein und sie wich vor meiner Erscheinung instinktiv zurück. Ich musste mich
ihr erklären. Es konnte nicht einfach so geschehen. Also berichtete ich ihr von den Vorfällen und von meinem Reinheitsgebot im Bezug auf all diese Dinge. Von der Notwendigkeit der Bestrafung. Ich weiss nicht, ob sie das verstanden hat. Ihre blinden Augen starrten mich direkt an. Sie nahm mich psychisch wahr, sie spürte mein Nichtvorhandensein in der Verwerfung, meine Blankheit, meine Reinheit. Ihre Angst war greifbar, als sie mir gewährte, was ich verlangte. Mit gequälter Langsamkeit streckte ich meine Hände aus und Übelkeit durchströmte mich in gigantischen Wogen. Ich berührte dieses unsagbar grauenhafte, widerliche Haar und mein wohlweislich schon zuvor geleerter Magen krampfte sich in Konvulsionen zusammen, obwohl die Nerven meiner Hände schon so gut wie tot waren. Mit beiden Händen griff ich in diesen Ekel hinein und fühlte mich, als würde ich alle Flüche des unreinen Fleisches auf einmal erfahren. Jede Sekunde erschien wie eine Ewigkeit und ich ging fast daran zugrunde. Schliesslich, nach vielleicht zehn Minuten verlor ich mein Bewusstsein und erwachte einige Zeit später wieder. Als ich mich umblickte, fand ich die Astropathin reglos auf dem Boden liegend vor. Tot. Ich weiss nicht mehr, wann ich sie getötet habe. Möglicherweise ist sie auch an meiner Blankheit zugrunde gegangen Ich brachte es nicht fertig, sie noch einmal zu berühren. Deshalb konnte ich sie auch nicht untersuchen, um ihre Todesursache festzustellen. Ihr Gesicht war von Entsetzen verzerrt in einer letzten Verkrampfung. Schwankend kam ich auf die Beine und taumelte aus ihrem zurück in mein Quartier. Gestraft war ich nun fürwahr. Nun musste ich mich reinigen. Mit grossem Schmerz. Ich stach mir in meinem Quartier das linke Auge aus und liess es auf der Krankenstation durch eine Kamera ersetzen. Ich gab vor, dass dies für meine nächste Mission unbedingt notwendig sei und mein Arzt stellte keine Fragen. Er fragte auch nicht, warum ich eine Kamera statt eines künstlichen Auges wollte. Natürlich nicht.

Mit der Kamera fühlte ich mich gereinigt und eigenartigerweise viel wohler als mit meinem menschlichen Auge. Auf unserem Flug zum Karpath-System gewöhnte ich mir sogar an, mein menschliches Auge zuzukneifen und sah die Welt nur noch durch den rasterhaften, reinen Blick der Kamera. Es war auch praktisch, denn mit dieser konnte ich in Büchern lesen und gleichzeitig meine Umgebung im Auge behalten. Schon seit einiger Zeit waren selbst meine modifizierten Mannschaften in meiner Gegenwart immer nervöser geworden und als meine Astropathin tot aufgefunden wurde, trug das nicht zur Beruhigung der Mannschaft bei. Ich erklärte, dass ich auf dieser Mission keinen Kontakt mit dem Imperium brauchte und sie später ersetzen würde. Um mich herum war Schweigen, wenn ich in der Kanzel stand.


Nach einigen Monaten, in denen ich die Verwerfung durchquerte, erreichte mein Schiff sein Ziel. In der Nähe des Karpath-Systems gab es nämlich nur ein einziges anderes. Dieses System war völlig unbewohnt, dem Anschein nach. Alles waren tote, verlassene Welten. Das einzige, was auffällig war, waren Gebäude, die auf allen Welten standen und die offenbar nicht menschlichen Ursprungs waren. Wir empfingen von dort keine menschlichen Lebenszeichen oder anderweitige Signale. Ich war unzufrieden und beschloss, mit einem Landungstrupp hinunter auf die Oberfläche zu gehen. Wir landeten in einer Landschaft, die nur aus kahlem Fels bestand, der mich in der Reinheit seiner Art irgendwie angenehm berührte. Kahler Fels. In der Ferne erkannten wir die Konstruktionen. Es waren sehr hohe, Pyramidenartige Bauwerke. Ich sage Pyramiden-artig, weil es nicht wirklich Pyramiden waren. Manche Gebäude hatten fünf oder sechs Seiten und manchmal erschien es so, als würden sich die Winkel immer anders präsentieren, wenn man sie anblickte. In der Tat war dies für meine Mannschaft recht beunruhigend, als wir uns diesen Bauwerken näherten. Ich selber war allerdings ganz absorbiert in ihrem Anblick. Die blanken Mauern mit ihren immer neuen Winkeln und ihrer schmucklosen Reinheit vermochten mich zu beeindrucken. Hier war etwas vor mir, dass ich mir als die richtige Architektur für das Imperium vorstellen konnte. Beeindruckend durch Wucht, aber Rein in ihrer Erscheinung, fernab von den ekelhaften gotischen Schnörkeln und Ziselierungen unserer Gebäude. Ich benutzte mein Kamera-Auge, um diese Gebäude ganz genau abzusuchen und zu fotografieren. Die Aufnahmen finden sich als Anhang in diesem Bericht.

Schliesslich wandelten wir auf uralten Strassen, die aber immer noch intakt waren, zwischen diesen zyklopischen Strukturen, verloren uns in ihrer titanischen Gegenwart. Ich fand keinen Hinweis auf irgendeine menschliche Präsenz hier in dieser verlassenen Stadt. Und von den Scannern in meinem Schiff erfuhr ich auch nichts Neues. Ihre Suche war erfolglos. Hier lebte kein Mensch. Devon, den ich suchte, war vielleicht einmal hier gewesen, aber inzwischen war er verschwunden. Vielleicht war er schon tot. Was mochte ein mächtiger Konzernboss auf einer Welt wie dieser suchen? Wie hatte er von diesen Ruinen erfahren? Ich dachte darüber nach, dass Devon einigen grossen Forschungsunternehmen vorgestanden hatte. Dass er selbst also höchstwahrscheinlich auch Wissenschaftler gewesen war.

Während wir so durch die alte Stadt marschierten und nirgends einen Hinweis auf Leben fanden, spürte ich in mir ganz allmählich ein eigenartiges Gefühl der Erwartung in mir emporsteigen. Die Emotion liess es mir übel werden, aber ich liess mir nichts anmerken und führte meinen Trupp aus sechs Kämpfern weiter.

Dann geschah es. Als mein Gefühl der Erwartung kaum noch erträglich war, erschienen sie plötzlich um uns herum. Ich nahm nur ganz am Rande war, wie sie meine Männer, von mir selber ausgebildete Kämpfer und Waffenspezialisten, quasi in Sekundenschnelle töteten. Zumindest liessen sie sie mit ihren eigenartigen Waffen verschwinden. Aber ich hatte kein Auge dafür. Ich war zu gefangen von der Erscheinung dieser Wesen, die der Beschreibung einer unbekannten Art entsprachen, die nur den allerhöchsten Inquisitioren überhaupt zugänglich war. Es gab überhaupt nicht einmal gesicherte Belege für ihre Existenz. Aber hier standen sie um mich herum und ich empfand etwas, dass ich zuletzt bei der ersten Landung der Inquisition auf meiner Heimatwelt empfunden hatte. Ich fühlte eine gewisse Ehrfurcht. Ich sah Reinheit in der Erscheinung der Wesen um mich herum, die ganz blankes Metall waren, so wie ich blank gegenüber der Verwerfung bin.

Und es war noch etwas. Ich wurde nicht getötet. Stattdessen sahen diese Wesen mich mit ihren metallenen Gesichtern an, so wie ich zurück auf sie starrte. Kalte, eiserne, reine Gesichter. Nicht entstellt durch Emotion und unberührt vom Ekel des Fleisches. Befreit, verbrannt, gereinigt.
Meine Gedanken rasten in dieser nur sekundenkurzen Begegnung. Denn schon bald verschwanden die Wesen um mich herum wieder so geräuschlos, wie sie erschienen waren. Von meinen Kämpfern war ausser winzigen Ascheartigen Spuren, nichts übrig. Ich war ganz in Gedanken versunken, als ich meinen Weg zurück zum Schiff ging. Ein Zustand, den ich selten gekannt hatte.

Ich befahl meiner verbleibenden Mannschaft, im Orbit zu bleiben und zog mich für viele Tage in mein Quartier zurück, um alle Unterlagen zu studieren, die ich über Devon aus den Speichern seiner Firmen kopiert hatte. Lange fand ich nichts. Nur einmal war ich genötigt, mein Studium zu unterbrechen, weil die restlichen Besatzungsmitglieder meuterten. Sie waren ohne meine Einwilligung los geflogen und ich richtete sie gerecht. Ich kehrte nun allein mit meinem Schiff in den Orbit des Planeten zurück.

Viele weitere Monate verbrachte ich allein in meinem Quartier und fand bei längster Suche in Devons Archiven nichts. Aber ich gab nicht auf und schliesslich fand ich doch etwas. Nichts wirklich gehaltvolles, aber es musste mir genügen. Ich kann ohne Navigator sowieso nicht mehr zurückkehren.

Ich fand einen kleinen Querverweis bei einer Versuchsreihe unbekannter und nicht näher definierter Art, die eines von Devons Unternehmen durchgeführt hatte. Es war nirgends etwas über Resultate vermerkt. Aber es wurde in diesem Verweis das Bruder Bernhard-Krankenhaus in Gudhavn erwähnt. Und Daten. Eines davon war mein Geburtsdatum. Mehr fand ich nicht. Mehr brauchte ich nicht. Ich wusste genug.

Ich liess sich die "Malleus Maleficarum" selbst zerstören und ging mit dem Landungsschiff allein wieder herunter. Tagelang durchstreifte ich die titanische Stadt, aber bisher bin ich nicht wieder auf die Bewohner gestossen. Erst vor kurzem ist etwas Nennenswertes geschehen. Ich kam an einem der kleineren Pyramiden-artigen Gebäude vorbei und neben mir öffnete sich ein Eingang. Offen steht dieser Eingang neben mir und lässt nicht in die Dunkelheit im inneren des Gebäudes blicken. Es ist mir gleichgültig, denn mein Entschluss steht fest. Hier, an dieser Stelle auf einer namenlosen Welt endet mein Dienst an der Kirche des Imperiums. Ich habe mir alle meine Implantate einschliesslich der Kamera entfernt und werde sie hier neben diesem Datenträger liegen lassen, ein weiterer Beweis der Echtheit meines Dokumentes. Ich bin froh, die Kirche endlich verlassen zu können, die nur ein einziges Mal überhaupt in die Nähe ihrer eigenen Ideale gekommen ist. Nämlich zu der Zeit, als ich einer ihrer einflussreichsten Männer war. Ohne meine Anwesenheit wird sie rasch in den Sumpf der Korruption zurückfallen, der seit jeher der Urschlamm dieses angeblich so grossartigen Imperiums der Menschheit ist.
Mich braucht dies nicht weiter zu bekümmern, denn so wie ich auf Rorschach IV einst etwas gefunden habe, das mich über die Niedrigkeit der anderen Bewohner erhob und mich vom Leben dort befreite, habe ich hier etwas gefunden, das mich endlich von meiner Existenz als Mensch überhaupt befreien wird. Ich kann nicht sagen, warum ich dies mit solcher Sicherheit weiss, aber ich bin mein ganzes Leben lang immer ein Getriebener gewesen, getrieben von einem einzigen Gedanken: Reinheit. Hier habe ich eine Reinheit gesehen, die alles übertrifft, was niederes Fleisch hervorbringen kann. Ich muss den Weg zu ende gehen, auf den ich von diesem "Es" in meinem Hirn gezwungen worden bin.

An dieser Stelle verlasse ich die Kirche und ich verlasse die Menschheit. Ich kann nicht sagen, dass ich das geringste Bedauern empfinden würde. Ich hatte niemals das Gefühl, wirklich ein Teil von einem der beiden zu sein. Ich beende hiermit diesen Bericht. Mein weiteres Schicksal und vielleicht Reinheit erwarten mich hinter diesen Mauern.

:ENDE AUFZEICHNUNG:



Urheberrecht: C.S. Brogle, 2007



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