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VERSCHLINER

I


Der Bildschirm flackert in der Dunkelheit und schmerzt in den Augen des Betrachters, der hier einsam in seiner Kammer sitzt und nicht schlafen kann. Er ist ein hagerer Mann. Ein Mann, der vieles gesehen hat und den vieles belastet. Ein hagerer, weissbärtiger Mann, dessen schroffes Gesicht ein Leben in treuen Diensten wiederspiegelt, aber auch die zahllosen Brutalitäten reflektiert, deren Zeuge er geworden ist.

Diesen Alten kümmert nicht, welche Zeit die Chronometer auf dem Schiff anzeigen. Er schläft sowieso nur unregelmässig, wenn überhaupt, in seinem Alter. Bald wird er seine Reise abgeschlossen haben. Seine Reise als sterblicher Diener des Imperiums, das er nie gesehen hat. Er ist fast dreihundert Jahre alt.

Nach einer langen Zeit nimmt er schliesslich seine Augen von dem elendig flackernden Bildschirm und schaltet diesen aus. Er seufzt, trinkt einen Schluck Tee und steht dann auf, um alte Schriftrollen und verstaubte Bücher aus dem Regal zu holen. Er wühlt sich durch das alte Papier, das ihn schon so lange begleitet, mit derselben Verbissenheit, mit der er sich auch durch die Datenspeicher frisst, die ihm zur Verfügung stehen. Er ist ein Mann, der die bewundernswerte Eigenschaft der Konzentrationsfähigkeit besitzt. Seine grösste Stärke ist auch gleichzeitig sein Kapital. Im Dienst des Imperiums, das er nie gesehen hat, war er lebenslang ein Forschungsreisender auf der Suche nach einem einzigen Ziel. Dieses Ziel hat er nun, nach über zweihundert Jahren, gefunden. Aber da ist keine Freude auf diesen hageren, schroffen Zügen. Seine Augen scheinen schwarz zu brennen, als er sich durch die Papiere arbeitet wie ein Wurm, der durch finstere Erde kriecht. Und wer weiss, was Würmer dabei alles erfahren mögen...?

Aus dem kleinen Lautsprecher über seiner Tür kommt eine Durchsage. Der Kapitän: "Wir haben die Verwerfung verlassen und nehmen jetzt Kurs auf Terra."
Der Kapitän klingt irgendwie erkältet.

Vielleicht ist das ja eine Nebenwirkung, denkt sich der alte Bärtige und lächelt kurz sein steinernes Lächeln.

Er nimmt noch einen Schluck Tee, dann geht er zur Tür hinaus auf eine Wanderung durch das Schiff. In den Frachträumen liegen Tonnen weiterer Schriften. Zu viele auch für zehntausend Menschenleben. Aber seine Konzentrationsfähigkeit lässt ihn immer das richtige erkennen und herausfiltern. Adrian Murray weiss vielleicht mehr als irgendein anderer Sterblicher überhaupt.

Es gibt noch weitere Frachträume. Er hat sie alle belegt. Heute Abend erst hat er der ganzen Mannschaft eine besonders seltene Köstlichkeit offeriert... allen, ausser dem ersten Offizier, der heute die Nachtschicht macht.... Und dem Navigator, bei dem er jetzt noch rasch vorbeischauen will…


II


In der Kommandokanzel sitzt Ronald Hertz alleine an seiner Konsole. Eine einsame Nachtschicht wie viele, die er gesehen hat. Es macht ihm nichts aus. Er ist froh, dass diese Reise bald ihr Ende finden wird. Er hat die Mannschaft satt und diesen Passagier mit seinen Sonderwünschen und seiner beunruhigenden Art. Hertz hofft, dass der Alte diese Nacht pennt und ihn nicht wieder mit eigenartigen Vorträgen belästigt. Diese Hoffnung verliert sich, als er nach einigen Stunden allein in der Kanzel schritte auf den metallenen Gängen hört. Er erkennt den Alten schon an dessen Gang. Und wer sollte auch sonst um diese Zeit herkommen? Hertz seufzt und bereitet sich auf die Ankunft des Passagiers vor.

Bald darauf gleitet die Tür hinter ihm auf. Murray kommt hereingeschlurft. Sogar sein Gang ist irgendwie abnormal. Ohne Umschweife tritt Murray neben Hertz' Sessel, beginnt, mit seiner raschelnden Stimme zu sprechen:

"Lange Nacht?"

"Lange Nacht."

"Aber meine Nacht ist länger als ihre." sagt Murray grimmig, während er sich auf einen Sessel setzt.

Der Kommandant grinst, ohne sich danach zu fühlen.

"Sind sie ihm schon einmal begegnet?" fragt Murray schliesslich nach einer Weile der Stille.

"Wem? Dem Garanten ihrer langen Nächte?" gibt Hertz spöttisch zurück.

"Da gäbe es zwei. Ha!" Murray hustet "Aber eigentlich haben sie recht. Ich meine den, der mich nachts immer wach hält."

"Und was verschafft mir die Ehre, ihr Beichtvater zu sein?" fragt Hertz.

"Die Tatsache, dass sie da sind. Ich weiss nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt."

"Also gut. Dann schiessen sie los."

"Sie haben sich nie gefragt, was ich eigentlich tue?"

"Wissen sie, Murray, in meinem Beruf ist es besser, nicht viel zu fragen. Und wenn jemand so viele Dokumente und Siegel trägt wie sie..."

"Das stimmt. In der Tat." Murray schweigt kurz, überlegt sich, wo er beginnen soll. Dann fährt er fort:

"Biologe. Forschungsreisender Biologe."

"Aha." Hertz klingt nicht interessiert. Murray überlegt wieder eine Weile, wie er fortfahren soll. Dann findet er einen neuen Anfang:

"Insekten und solche Sachen..."

"Mhm." Hertz klingt nicht im Geringsten interessiert und der Alte soll das ruhig mitkriegen.

"Wussten sie, dass der Mensch schon immer eine tiefsitzende Angst vor Insekten gehabt hat?"

"Sind ja auch eklige Viecher, oder." gibt Hertz zurück.

"Nun... das kann ich nicht mehr so genau nachvollziehen... ich bin schon zu lange ein Forscher. Ich sehe alles nur noch von der technischen Seite..." Murray starrt in einer eigenartigen und irgendwie beunruhigenden Weise zu Hertz herüber. "Haben sie schon einmal den Namen gehört... der grosse Verschlinger?

Hertz nickt. Zögernd. "Schon mal gehört. Märchen wahrscheinlich."

"Märchen? Oh nein, Hertz. Leider nicht. Aber eine Geheimsache." Murray scheint ganz
zufrieden damit, dass Hertz dieses Gespräch unangenehm ist. Er macht weiter: "Und? Was wissen sie über dieses vermeintliche Märchen?"

Hertz zuckt die Schultern. "Kaum was. Ist dasselbe wie mit den grünen Kerlen und so. Ich hab mal gehört, es seien Pflanzen. Sie schicken Sporen von Welt zu Welt."

"Aha. Sporen." Murray kichert leise in sich hinein.

"Aber ich nehme an so ist es nicht. Oder?" fragt Hertz.

"Nein... nein, so ist es nicht...."

Wieder sind die beiden Männer still in der Kanzel. Das ganze Schiff ist still. So still wie der Raum um sie herum. Und der Raum hinter den verschlossenen Fenstern.

"Stellen sie sich..." fährt Murray schliesslich fort "...einen einzigen Organismus vor. Ein einziges, gigantisches Wesen, dass sich in Milliarden von kleinen Teilen aufspaltet. Stellen sie sich vor allem einen Organismus vor. Etwas, das lebt. Das wächst. Immer wieder nachwächst. Unzerstörbar."

Hertz nickt. Er tut so, als wäre er mit seinen Instrumenten beschäftigt. Aber Murray scheint zu wissen, dass dem nicht so ist.

"Also gut, ja. Ein Organismus. Und weiter?"

"Wie in den Geschichten, die sie gehört haben, Hertz. Er breitet sich aus. Er zieht von Welt zu Welt. Er verschlingt die Welten auf seinem Weg. Es gibt ihn, den grossen Verschlinger."

"Und dafür haben sie die Beweise?"

"Beweise? Oh, junger Hertz, die habe ich. Zuhauf. Ich habe sie zusammengetragen in Jahrzehnten. Ich war an Orten, die sie sich nicht vorstellen können. Von denen sie froh sein können, sie nie gesehen zu haben."

"Nun, sie wissen nicht, wo ich schon überall war." kontert Hertz. Jetzt fast ein wenig trotzig.

Murray beginnt in seinem Sessel zu lachen. Ein dünnes, röchelndes Geräusch, so beunruhigend wie sein Blick. Aber Hertz lässt sich nichts anmerken. Murray nimmt das zur Kenntnis und beginnt wieder, zu erzählen:

"Ich bin im Geheimauftrag des Imperiums unterwegs, seine Spur zu verfolgen. Es gibt viele wie mich. Viele. Aber ich bin einer der Ältesten. Und einer der wenigen, die ihn wirklich gesehen haben."

"Es... es heisst, dass niemand überlebt, der dem grossen Verschlinger begegnet."

"Normalerweise ja. Das ist die Regel. Aber ich bin nicht wie die anderen. Ich war auf Telonia und auf Dachau III. Ich war auf Khrenow und auf York, wenn ihnen diese Namen etwas sagen."

Hertz zuckt nur mit den Schultern. Murray hat das wahrscheinlich erwartet.

"Ich habe ihn dort gesehen. In Lebensgrösse. Er ist unvorstellbar. Unvorstellbar... Ich habe seine Schrecken gesehen und studiert..." Murray zieht eine kleine Datentafel hervor "... und katalogisiert. Die erste umfassende Studie. Hier drin..." er klopft auf die Tafel "...sind Informationen, die allein das weitere Überleben der Welten sichern können. Allein!"

Hertz zieht eine Augenbraue hoch. Er verdächtigt Murray jetzt der Senilität. Aber Murray spricht jetzt mit der Wucht absoluter Überzeugung. "Woher kommen sie, Hertz?" fragt er beiläufig.

"Gaust VII. Wieso?"

"Nun, denken sie, dass beispielsweise ihre Heimatwelt sicher ist vor diesem Verschlinger?"

"Ich weiss nicht."

"Und wenn ich ihnen sage, dass dieser grauenhafte Organismus... dieses... Wesen seine Fühler bereits nach ihrer Welt ausgestreckt hat? Ja, vielleicht jetzt schon dort ist?" Murray lehnt sich zu Hertz herüber. Dieser starrt ihn an.

"Ich... war... vor zwei Monaten das letzte Mal da."

"Oh. Dann war er schon dort." Murray starrt jetzt zurück, während er so spricht.

"Sie sind ja verrückt!"

"Nein. Es stimmt. Wahrscheinlich ist auch diese Welt verloren. So viele Welten sind verloren... so viele.... an ihn. Er ist dort. Ganz sicher!"

"Quatsch!" Hertz fummelt jetzt wieder an seinen Instrumenten rum, um sich abzulenken. Er ruft ein paar Statistiken auf seinen Bildschirm und tut so, als würde er sie lesen. Nur ganz am Rand fällt ihm auf, dass da einige sehr merkwürdige Anzeigen aus den unteren Decks erscheinen. "Haben sie keinen anderen Zeitvertreib, Murray? Vielleicht sollten sie einfach mal ausschlafen?"

Aber Murray starrt ihn weiter mit diesen weitaufgerissenen Augen an, die so beunruhigend sind und die Hertz die Distanzen des Raumes verfluchen machen, weil er nicht einfach zu hause anrufen kann.

"Ich..." beginnt Murray plötzlich wieder "...wollte sie nicht beunruhigen. Aber wir müssen den Tatsachen ins Auge blicken."

"Ach, sein sie doch still. Ich weiss, dass bei mir zuhause alles in Ordnung ist."

"Wenn sie meinen. Es ist gleichgültig. Ob heute oder morgen, keine Welt entgeht ihm. Er ist der grosse Verschlinger. Wissen sie übrigens, womit ich mich auch noch intensiv befasst habe?"

"Nein." Gibt Hertz müde zurück.

"Geschichte, Hertz. Geschichte. Kennen sie sich da aus?"

"Uff! Nein... ehrlich gesagt überhaupt nicht. Bloss ein bisschen auf meiner Welt. Ich... kenn das imperiale Datum immer nur vom Kalender." Hertz ist froh über den Themenwechsel. Deshalb fügt er dann auch noch an: "Murray, können sie mir sagen... ob das stimmt... das mit den zehntausend Jahren?"

Murray lächelt. "Nun, dass weiss wohl keiner so richtig, junger Hertz. Aber es ist nun mal die offizielle Zeitrechnung."

"Ein Imperium... so alt...."

"Und unsichtbar, vergessen sie das nicht, Hertz. Unsichtbar."

"Wieso Unsichtbar?"

"Haben sie es jemals gesehen? Das Imperium? Den Gottkaiser? Die Kirchen, die in den Himmel ragen?"

"Nun... nein."

"Sehen sie. Ich auch nicht. Und trotzdem bereise ich das Imperium auf der Suche nach dem grossen Verschlinger und ich habe ihn gefunden. Dies ist meine letzte Reise. Vielleicht werde ich die Kirchen noch sehen, bevor sie zu ende ist."

Hertz antwortet nichts. Drückt wieder sinnlos auf Knöpfen rum. Die merkwürdigen Anzeigen wird er sich später noch vornehmen. Wahrscheinlich bloss ein Defekt im Rechner...

"Um wieder auf den Verschlinger zurückzukommen..." beginnt Murray "...sollte ich auch noch erwähnen, dass es durchaus Hoffnung gibt."

"Ach?"

"Ja. Sicher. Wissen sie noch, was ich gesagt habe? Ein einziger Organismus. Eine einzige gigantische Entität, die den Raum bereist. Von Welt zu Welt, Welten verschlingend."

"Ja. Und?"

"Welche Armee könnte es mit einem solchen Wesen aufnehmen, dass sich laufend aufspaltet und vermehrt? Das immer wieder nachwächst während sich das Material erschöpft?"

"Keine?" Hertz zuckt wieder die Schultern

"Richtig. Keine Armee. Aber eine Krankheit. Ein Virus."

"Hmmm. Das ist gar nicht übel, die Idee. Lassen sie mich raten. Sie haben dieses Virus?"

Murray lächelt nur zur Antwort.

"Und deswegen fliegen wir da hin: Terra. Das ist doch angeblich..."

"Ganz recht. Das Zentrum des Imperiums!" Murray lächelt immer noch. Aber es ist kein freudiges, kein freundliches Lächeln. Es ist zutiefst eigenartig. Genauso wie der Mann selbst. Abrupt beginnt Murray wieder zu sprechen:

"In den... Märchen... die sie gehört haben, Hertz... Wie sieht er aus, der Verschlinger?"

"Wie Pflanzen, wie Tiere... kommt drauf an, wer die Geschichte erzählt."

"Und manchmal auch wie Insekten." kommt es triumphierend von Murray. "Ja, der Mensch und seine Angst vor den Insekten… …Er macht unschuldige Tiere zu Trägern seiner Schuld!"

Hertz nickt. Genervt. Der Alte spinnt total. Hertz versucht, sich wieder auf seine Bildschirme zu konzentrieren. Murray starrt zu ihm herüber, aber er sagt nichts mehr. Trotzdem kann Hertz sich unter diesem Blick nicht auf die Statistiken vor seinen Augen konzentrieren. Schliesslich gibt er auf und sagt:

"Also gut, Murray. Zeigen sie mir schon ihre Daten, ihre Videos oder was immer sie sonst da haben."

Murray nickt und beginnt auch sofort, in seinen Taschen herumzufummeln. Hertz hofft, ihn danach los zu sein. Wenn Murray nicht tonnenweise imperiale Siegel tragen würde, hätte er ihn schon längst eingesperrt. Schliesslich scheint Murray fündig zu werden. Er holt etwas aus seiner Tasche und hält es Hertz hin.

"So sieht er aus!" keift der offensichtlich Wahnsinnige triumphierend im Sessel neben ihm. "Er fliegt von Welt zu Welt, er presst sie aus, frisst sie leer, bis alles kahl und leer ist und bis nur die grausigen Skelette seiner Kultur dort übrigbleiben! Dann zieht er weiter. Ein einziger, gigantischer Organismus, der sich vermehrt und vermehrt und aufspaltet.... Pah! So sieht er aus!!"

Hertz starrt auf sein eigenes Gesicht in dem Spiegel, den der Alte ihm hinhält, dann zu Murray selbst.

Der starrt zurück.

Schweigen.

"Was ist im Frachtraum acht?" fragt Hertz schliesslich. Offenbar hat Murray nicht bemerkt, dass er einen stillen Alarm ausgelöst hat.

"Virusbomben. Selbstgemachte. Solche, die nicht sofort töten, sondern dem Virus Zeit geben, sich im ganzen Imperium zu verbreiten!"

Hertz starrt weiter.

"Ihr Alarm bringt ihnen nichts, Hertz. Die Anderen sind tot. Ich habe sie getötet! Der Brandy von heut' Abend..." Murray zieht eine Pistole "Und bevor sie noch auf den dummen Gedanken der Selbstzerstörung kommen..." Er schiesst.

Hertz sackt auf seinem Sessel zusammen, ohne noch einen weiteren Laut von sich zu geben. Das letzte, was er sieht, ist das vom Wahnsinn zerfressene Gesicht des Alten.


III


Jetzt ist alles still um den alten Bärtigen.

Murray lehnt sich in seinem Sessel zurück. Er ist sich seiner Sache sicher. Er kann den Rest des Fluges von hier aus alleine bewältigen. Alles ist vorbereitet für die Landung auf der Station, für die Verbreitung seiner Seuche. Nun, mit dieser Ruhe, mit dem sicheren Wissen, am Ziel seiner Mission zu sein, kann er vielleicht ein wenig schlafen.

Er sinkt schnell in einen Schlummer, döst ein wenig in der stillen Kanzel. Bis....

Er schreckt hoch. Was ist das? Jemand bewegt sich! Schritte auf einem Gang irgendwo. Er kann sie hören. Ganz leise, in der Ruhe der Gruft, die er aus diesem Schiff gemacht hat. Ein hohler, leiser Klang, der aber lauter zu werden scheint. Schnell beginnt Murray an der Konsole vor sich zu hantieren und Bilder von den Kameras auf den Gängen abzurufen. Da ist nichts... aber er hat auch keine Ahnung, welches Bild welcher Gang ist. Verdammt! Alles ist in der beschissenen Schrift der Heimatwelt des Kapitäns angeschrieben. Schlamperei!

Die Schritte sind jetzt lauter. Sie kommen auf die Kanzel zu. Keine Zeit mehr, noch herumzufummeln. Murray ist zu allem entschlossen. Er fasst seine Pistole fest beim Griff. Er dreht seinen Sessel zur Tür herum. Die Schritte sind ganz nahe...

Dann öffnet sich die Tür.

"Hansen? Sie?"

Der eigentümlich fleischige Navigator steht ganz gelassen in der Tür. Murray war sich sicher, ihn getötet zu haben. Das Gift, dass er persönlich jedem Einzelnen eingeflösst hat, wirkt absolut tödlich. Es gibt keine Ausnahmen. Vielleicht dauert es ja bei dem Dicken einfach länger.

"Sie... sind tot, Mann!" knurrt Murray.

Hansen sagt nichts. Murray richtet seine Waffe auf ihn. Schiesst. Das Projektil dringt in Hansens Bauch ein. Der reagiert nicht mal. Nun ist Murray an der Reihe, entsetzt zu seinem Gegenüber zu starren.

"Du hast lange geforscht, alter Mann." beginnt Hansen mit irgendwie verschnupfter Stimme. "Und du weisst so viel.... so viel.... es hat dich wahnsinnig gemacht."

"Wahnsinnig? Weil ich die Wahrheit sehe? Ha!!"

Hansen fährt unbeeindruckt fort: "Alter Mann, du siehst keine Wahrheit. Du weisst nicht mal, was das ist. Aber du warst gut. Ein guter Chemiker. Ein guter Biologe. Geradezu exzellent. Und so... nützlich... für uns."

Hansen reisst sein speckiges Hemd hoch. Auf seiner Bierwampe trägt er eine Tätowierung. Drei Kreise um drei Pfeile. Er ist ein Kultist. Murray muss lachen. Nichts weiter als ein lächerlicher Kultist.

"Du denkst, dass ein Gott, den du dir einbildest, dich retten wird?" lacht Murray jetzt auf "Du Trottel! Wie auch immer du das Gift überlebt hast, diese Kugel wirst du nicht überleben!"

Er schiesst dem Navigator in den Kopf. Blut und Gehirn werden an der Wand neben der Tür verteilt. Und sofort erfüllt ein fauliger Gestank die Kanzel. Als hätte er in den Kopf eines schon tagelang Toten geschossen. Aber der Körper des Navigators wird zu Boden geworfen
und rührt sich nicht mehr. Murray steht auf und tritt ihn ein paar mal, um zu sehen, ob er auch wirklich tot ist. Er ist es. Ein Kultist. Einer, der an Götter in der Verwerfung glaubt. Wahrscheinlich voll mit irgendwelchen Drogen. Daher diese Resistenz. Und diese erkältete Stimme.

Murray beginnt wieder zu grinsen. Ein Psychopath. Ein Sektierer. Ein Feind der Menschheit, so wie er, hier mit ihm auf dem Schiff. Hansen wollte ihm die Bomben stehlen und für seine eigenen Zwecke benutzen. Ha!

Murray lässt sich wieder in seinen Sessel plumpsen und beginnt zu kichern. Wie überheblich solche Kultisten immer sind. Wollte ihm weismachen, dass er eine Marionette gewesen sei. Aber Murray weiss, dass er viel zu alt ist, um irgendjemandes Marionette zu sein. Nichts wird ihn jetzt noch aufhalten.

"Oder ist da noch jemand?" ruft er höhnisch in die Stille.

Während er es sich dann wieder bequem macht, beginnt er darüber nachzudenken, wie knapp es eigentlich war. Wäre der Navigator intelligenter gewesen, hätte er ihn erpresst, während sie noch in der Verwerfung waren...

Murray starrt auf die geschlossenen Fenster. Lange. Der Kapitän klang erkältet... der Kapitän...

"Nein."

"Nein!"

"Verflucht! Nein!!"

Er fummelt wie wahnsinnig auf der Konsole herum. Irgendwo muss der verdammte Schalter sein, der die mistigen Fenster aufmacht! Er muss da sein! Er muss....
Da ist er!

Die Fenster gleiten auf.

Murray starrt in die Zerrbilder des Un-Raumes. In die Verwerfung.

Er wird ohnmächtig. Bricht zusammen in der Kanzel. Er sieht nicht mehr das grosse, kistenförmige Schiff, das sich seinem Transporter nähert. Er sieht nicht mehr das Zeichen auf der Seite des Schiffes.

Drei Kreise, drei Pfeile.



ENDE



Urheberrecht: C.S. Brogle, 2006



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