Zur falschen Zeit am falschen Ort

von Stefan Bernhard

Es war wirklich ein rauschendes Fest gewesen, welches man zum Abschluss der Pilzernte veranstaltet hatte. Pharsti lenkte ihre Schritte über den schmalen, ausgetretenen Weg, der aus Mushroom Valley hinausführte. Ihr war ein bisschen schwindlig und sie stellte mit Schrecken fest, dass es spät geworden war. Dabei hatte sie ihrem Vater doch versprochen, früh nach Hause zu kommen. Doch die Lichter, die Musik und die jungen Männer aus der Umgebung hatten sie aufgehalten. Sie seufzte. Warum mussten sie ausgerechnet ausserhalb der Siedlung wohnen?

Rechts vom Weg erhob sich die gigantische Ruine einer uralten Fabrik, an deren Fassade die vermögenden Farmer ihre Pilze züchteten. Weit und breit waren sie für ihren Geschmack bekannt. Wieder seufzte sie. Ihrer Familie blieb nur eine kümmerliche Pilzgrube, von der sie knapp leben konnten.

Hinter sich hörte sie plötzlich ein Geräusch und sie beschleunigte ihre Schritte. Sie widerstand dem Drang, sich umzudrehen. So würde sie nur Zeit verlieren und unnötig auf sich aufmerksam machen.

„Hey Puppe, bleib stehen!“ gellte eine Stimme hinter ihr. Plötzlich hörte sie schwere Stiefel klappern und beschleunigte ihre Schritte noch einmal. Doch es war bereits zu spät. Kräftige Hände packten sie an den Armen und rissen sie herum. Ein grosser, ungepflegter Kerl beugte sich zu ihr hinab und blies ihr seinen stinkenden Atem ins Gesicht. An seinem Oberarm bemerkte sie eine Gang-Tätowierung. „Hab ich dir nicht gesagt, dass du stehen bleiben sollst?“, fragte er. Sein Gesicht verzog sich dabei zu einer hämischen Fratze.

Pharsti versuchte sich loszureissen, doch die Hände packten noch fester zu. „Ein wahrer Wildfang. Das wird mir gefallen.“ Er blickte sich um: „Und meinen Jungs ebenfalls.“ Gelächter ertönte und zwei weitere Männer tauchten aus den Schatten zwischen den Schutthaufen auf. „Mach schon, Champ. Ich will nicht mehr warten,“ lallte einer von ihnen kaum verständlich.

Champ nickte den Männern, die Pharsti festhielten, zu. Unsanft wurde sie zu Boden gerissen und ein Schrei entfuhr ihr. „Halt’s Maul und wir lassen dich vielleicht gehen,“ knurrte Champ und öffnete langsam seinen Gürtel.

Die Gedanken der jungen Frau rasten. Warum half ihr denn niemand? Sie war höchstens 200 Meter von der Siedlung entfernt. Als hätte Champ ihre Gedanken erraten meinte er: „Schönes Fest veranstaltet ihr da.“ Langsam liess er seine Hose nach unten gleiten.

„Pack das Ding wieder weg, Junge. Da wird einem ja schlecht davon,“ hallte eine tiefe Stimme über den Weg. Verdutzt hielt Champ inne. Auch die anderen Männer blickten sich um. Auf einem der Geröllhaufen neben dem Weg sass ein Mann. Er kam Pharsti vage bekannt vor, aber sie konnte nur wallendes, schulterlanges Haar und eine Schrotflinte erkennen, die auf Champs Genitalien zielte.

„Du solltest besser von hier verschwinden,“ zischte Champ. Ein Lachen ertönte: „Wirklich? Ich glaube eher du solltest dich verziehen. Du bist zur falschen Zeit am falschen Ort.“

„Sagt wer? Bist du verrückt? Wir sind fünf gegen einen,“ knurrte Champ siegessicher. Erneut ertönte das Lachen: „Du meinst wohl eher viereinhalb, wenn ich dich so angucke.“ Ein zorniger Schrei entfuhr Champ: „Schnappt ihn euch!“ Ein Schuss röhrte auf und Champ sackte mit einem irrsinnig hohen Schrei in sich zusammen. Die anderen Ganger zogen hastig ihre Waffen. Diesen Augenblick nutzte Pharsti. Sie riss sich los und verschwand zwischen den Schutthaufen.

„Wo ist der Scheisskerl hin?“ fragte ein Ganger. Seine Frage wurde durch einen weiteren Schuss beantwortet, der ihm die Brust aufriss. Mit weit geöffneten Augen brach er zusammen.

Hinter einem der Schutthaufen kauerte der Mann mit den langen Haaren und klaubte zwei Patronen aus der Manteltasche. „Hast du mal wieder ohne mich angefangen, Chuck?“ sagte eine Stimme in seinem Rücken. „Sammy Grey-Eyes. Diese Stimme werde ich niemals vergessen.” Sammy zog seine Pistolen: „Geh du hinten rum. Ich knöpfe mir den Kerl auf dem Weg vor.“

Langsam trat er auf den Weg und hob seine Waffen. Der Ganger hatte kurz in die andere Richtung geblickt und sah sich nun mit zwei grosskalibrigen Pistolen konfrontiert. Er blickte in Sammy’s graue Augen und erstarrte. „Sag Lebwohl,“ flüsterte Sammy und drückte ab.

„Woher kam das?“ schrie jemand. Sammy wirbelte herum und erwischte einen weiteren Ganger, der zwischen den Geröllhaufen hervortrat. Mit einem gurgelnden Schrei kippte er nach hinten um.

„Jetzt hab ich dich, du Schwein,“ sagte eine hasserfüllte Stimme hinter ihm. „Los, dreh dich um! Ich will dein Gesicht sehen, wenn du stirbst!“ Sammy lächelte kalt und drehte sich langsam um. „Wirf deine Knarren weg! Los!“ Sammy tat nichts dergleichen. Bedächtig steckte er sie in ihre Holster zurück. „Was lachst du so dämlich?“ Sammy deutete mit einer knappen Kinnbewegung auf einen Punkt hinter dem Ganger: „Dreh dich mal um.“ Der andere verzog sein Gesicht: „Hältst du mich wirklich für so bl...“ Der Rest des Satzes ging im Donnern von Chucks Schrotflinte unter.

„Zur rechten Zeit,“ meinte Sammy lakonisch. Chuck grinste schief: „Bedank dich später. Warum wolltest du mich sprechen?“ Sammy Grey-Eyes hakte die Daumen in seinen Gürtel ein: „Ich weiss, wo es massig Archäotechnologie zu finden gibt.“ Chucks Kiefer sackte herunter. „Wie viel?“

„Genug, um für lange Zeit im Uphive leben zu können. Wenn wir Glück haben, reicht es sogar fürs Penthive,“ erklärte Sammy lächelnd. Chuck fuhr sich durchs Haar. „Mann, dann könnte ich endlich aus diesem stinkenden Loch verschwinden. Was hast du vor?“ Sammy kratzte sich am Kinn. „Die Gang muss wieder zusammenkommen. Nur so haben wir eine Chance.“ Er machte eine kurze Pause. „Phil ist drüben in Dead End Pass. Danach müssen wir weiterschauen.“ Chuck nickte: „Ich bin dabei.“ Lachend fügte er hinzu: „Sammy Grey-Eyes und die Sumphole Scavengers sind wieder im Geschäft.“

Ein paar Meter entfernt hatte Pharsti das Geschehen beobachtet. Den Mann namens Chuck hatte sie erkannt. Er war seit ihrer Kindheit Arbeiter auf ihrem Hof gewesen. Sie fasste sich an den Kopf. Sammy Grey-Eyes. Sumphole Scavengers. Namen, die ihr irgendwie bekannt vorkamen. Sie nahm sich vor, ihren Vater danach zu fragen.




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